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RAMMSTEIN

Volksmusik

RAMMSTEIN

Popkomm 2004, Berlin. Die Stadt wimmelt von wichtigem Musicbizvolk. Überall, wo sich kleine Menschentrauben mit identifizierenden Popkomm-Taschen bilden, hört man im Gemurmel neben Fragmenten wie „Nee, ist umsonst.“ oder „Wie, du warst nicht eingeladen?“ auch immer wieder die Worte „Motor“ und „Palast der Republik“. Und genau vor der fast schon Ruine dieses geschichtsträchtigen Gebäudes konnte man eines Abends alle diese Leute in einer gigantischen Menschenmasse versammelt wiederfinden. Denn der ehemalige Chef des deutschen Musikriesen Universal, Tim Renner, hatte zum 10-jährigen Jubiläum seiner Firma Motor geladen. Und alle kamen. Schlange stehen ist während der Popkomm ja Pflicht, aber auf diese Geduldsprobe kann sich Herr Renner im Nachhinein was einbilden. Doch dass so viele dabei sein wollten, lag bestimmt nicht an Renners charismatischer Art oder der Aussicht auf ein Freigetränk. Keine Band war offiziell angekündigt und doch wussten alle: Rammstein werden dabei sein.

Und Rammstein waren dabei und zeigten der abgestumpften Medienmischpoke wo der Entertainment-Hammer hängt. In Marlene Dietrichs Heimatstadt traten Rammstein in amerikanischen Air Force Damenuniformen auf und spielten ein Akustikset mit Stücken des noch nicht veröffentlichten Albums „Reise, Reise“. Provokation durch die genaue Umkehrung ihres eigentlichen Images, denn Zopfperücken und Make Up hatte niemand erwartet. Doch trotz Anti-Inszenierung und Wandergitarre war es ein Rammstein-Gig. Sänger Till Lindemann schafft es auch im Minirock, dieses spezielle Rammstein-Feeling entstehen zu lassen.

Schlagzeuger Christoph Schneider zur Identität des Rammstein-Sounds:

„Als wir uns Anfang der 90er als Band zusammenfanden, gab es für unseren Sound nur eine Vorgabe: wir wollten langsame und stampfende Musik machen. Wir standen zwar auch auf Bands wie die Red Hot Chili Peppers, aber die waren spieltechnisch in einer ganz anderen Liga als wir und wenn wir versuchten, funky zu sein, hat das nicht funktioniert. Also orientierten wir uns eher an Vorbildern wie Ministry. Als dann Till anfing, nicht mehr Englisch, sondern Deutsch zu singen, war uns allen klar, dass wir unsere eigene Identität gefunden hatten. Seitdem haben wir immer wieder gemerkt, dass vor allem Tills Gesang einen Song zu einem Rammstein-Song macht. Es ist fast egal, was wir spielen, sobald Till dazu singt, ist es ein Rammstein-Song.“
Rammstein sind als Band und als internationaler Kulturexport ein einzigartiges und nur schwer zu fassendes Phänomen. In den letzten 30 Jahren gab es nur zwei Bands vor ihnen, die es in ähnlicher Weise geschafft haben, als deutsche Bands international wahrgenommen zu werden: Kraftwerk und Einstürzende Neubauten (und beide haben bei weitem nicht so viele Platten verkauft, wie Rammstein). Allen drei Acts ist gemein, dass sie ihre Musik in ein darstellerisches Gesamtkonzept eingebunden haben; die Kunst ist immer größer, als die Künstler selbst. So schufen Kraftwerk den Kling Klang Kosmos, die Neubauten den klingenden Schrottplatz und Rammstein die rockenden Pyromanen. Umso erstaunlicher ist es jetzt, dass nur knapp ein Jahr nach dem letzten Rammstein-Album „Reise, Reise“ schon der Nachfolger „Rosenrot“ in den Läden steht.
„Jede Band hat ihren eigenen Arbeitsrhythmus. Dass man bisher immer zwischen zwei und vier Jahre auf ein neues Rammstein-Album warten musste, lag nicht daran, dass wir sehr langsam arbeiten oder uns besonders intensiv mit dem Konzept der neuen Platte beschäftigen. Aber nach einem neuen Album geht man erst mal auf Tour und bei einer international so erfolgreichen Band wie Rammstein, kann man schon mal zwei Jahre unterwegs sein. Wenn man dann wiederkommt, braucht man natürlich erst mal Abstand von der Band und bis man dann wieder voll in einem kreativen Prozess steckt sind locker drei vier Jahre vergangen. Das ist bei „Rosenrot“ anders. Ein Großteil der Stücke ist schon bei den Sessions zu „Reise, Reise“ entstanden, hat es aber nicht aufs Album geschafft. Ein Rammstein Album hat normalerweise 11 Titel - es wäre einfach zu lang geworden, und einige Songs hätten sich sehr geähnelt. Also haben wir schon da beschlossen, einen Nachfolger rauszubringen, weil die Stücke einfach zu gut waren, um nicht veröffentlicht zu werden. Uns war aber auch klar, dass das schnell gehen musste. Man darf solche Sachen nicht zu lange liegen lassen, sonst verliert man das Interesse daran. Also haben wir uns nach der letzten Platte wieder zusammengefunden, um die alten und auch einige neue Stücke fertig zu machen. Es ist ein Nachtrag zu „Reise, Reise“.
Doch auch, wenn das jetzt nach Schnellschuss klingt, ist „Rosenrot“ ein weiteres vollwertiges Rammstein-Album. Alles, was den Ruf der Band begründet, ist vorhanden. Vor allem Till Lindemanns provokante Texte.
„Till ist natürlich der Haupttexter bei uns. Er schreibt viel, auch oft ohne direkten Bezug zur Musik. Er hat ja auch schon einen eigenen Lyrikband veröffentlicht. Manchmal sind es auch nur einzelne Worte, um die herum er einen Text schreibt, weil ihm der Klang dieses bestimmten Wortes gefällt. Da versucht er dann, die besondere Stärke dieses Wortes präzise herauszuarbeiten. Es kommen aber auch immer Vorschläge von uns anderen, dass Till mal zu einem bestimmten Thema einen Text schreiben könnte.“

Wenn man wie Rammstein den Erdball schon unzählige Male umrundet hat und es sich aussuchen könnte, wo man wohnen möchte, ist es bestimmt nicht einfach, den Bezug zur Heimat zu behalten.
„Ich persönlich habe in den letzten Jahren schon sehr oft gedacht, dass ich gerne woanders leben möchte, weil es mir da gut gefällt. Wenn man so oft und lange weg ist, wie wir, ist es schwierig, die privaten Kontakte in Berlin aufrecht zu halten - man verliert schnell den Zugang zum Zeitgeist, der gerade die Stadt bestimmt. Trotzdem sind wir alle fünf - nur Richard wohnt in New York - in Berlin geblieben und führen hier ein ziemlich normales Leben, das mit dem ganzen Rockstarding überhaupt nichts zu tun hat.“

Aktuelles Album: „Rosenrot“ (Universal)

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