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GANES

Friesische Jodler in den Dolomiten

GANES

Ganes, die drei singenden Frauen aus einem ladinischen Dolomitental, wurden in den vergangenen 10 Jahren vom Geheimtip zum Liebling des weltmusik-affinen PopBürgertums, einige ihrer Stücke gehören noch heute zum Standard-Repertoire von Deutschlandfunk-Kultur & Co. Doch Corona und ein personeller Wechsel sorgten für ein kurzes Verschwinden vom Aufmerksamkeitsradar, dem nun mit dem gerade erschienenen neuen Album "Or Brüm" entgegen gewirkt werden soll, ja muss! WESTZEIT traf deshalb die beiden Schuen-Schwestern im virtuellen Konferenzraum. Elisabeth sitzt dabei irgendwo im Bregenzerwald vor´m Laptop und Marlene winkt aus München in die Zoom-Kamera.

Eigentlich hätte "Or Brüm" ja schon im Frühjahr 2020 erscheinen sollen. Fertig war das Album, aber das allgegenwärtige Virus machte den Wasserfrauen (wie sich der Bandname sinngemäß aus dem Ladinischen übertragen ließe) einen Strich durch die Rechnung. Auch die ab September 2020 geplante Tour fiel ins Wasser. Die Termine wurden um ein Jahr verschoben, auch wenn es "immer noch spannend" ist, wie Marlene bei allem Optimismus leicht ängstlich anmerkt.

"Aber zumindest das Album kommt jetzt endlich raus und da freuen wir uns schon sehr. Wir proben für die Tour und wollen unbedingt spielen."

"Wenn es irgendwie geht!" ruft Elisabeth dazwischen und man spürt, dass die beiden es tatsächlich kaum erwarten können, ihren Fans die neuen Stücke zu präsentieren.

Die können bei dieser Gelegenheit dann auch gleich die neue Ganes-Bassistin kennenlernen, denn Cousine Marie Moling stieg Ende 2018 ganz aus, um mehr Zeit für ihre eigenen Projekte zu haben.

"Die Sommer-Tour 2018 haben wir zwar schon mit Natalie gespielt, aber die meisten Leute werden sie noch nicht als Ganes kennen."

Natalie Plöger entstammt nicht dem Familienkreis und hat als Norddeutsche zunächst wenig mit Südtirol zu tun. Marlene erklärt das so:

"Eine neue dritte Ladinerin zu finden, schien uns sehr schwer. Aber wir kannten Natalie von einem Festival, auf dem wir mal gemeinsam mit ihrer damaligen Band aufgetreten waren und hatten uns in Berlin wieder getroffen und schnell angefreundet. Und sie hat ja auch schon auf unserer vorherigen CD mitgespielt. Wir haben es dann einfach ausprobiert und ihre Stimme passt sehr gut zu unseren. Sie ist es gewohnt, Harmoniegesänge zu singen, spielt ganz wunderbar Kontrabass und das passt sehr gut zu unseren Geigen."

Auf der CD ist Natalie aber nur bei einem Stück zu hören, erstaunlicherweise beim "Jodler rü dla Gana". "Das stimmt. Wir haben gedacht: wenn schon, denn schon!"

Obwohl das Ganze natürlich einen eher praktischen Hintergrund hat, sagt Elisabeth: "Die Songs machen ja eher ich und Marlene. Und weil wir beide uns einfach auch öfter gesehen haben, haben wir die Songs auch erstmal selbst eingesungen. Und schlussendlich ist es bei zweiten und dritten Stimmen nicht mehr so wichtig, wer das bei der CD-Aufnahme einsingt. Aber natürlich wollten wir sie auch gern mit ihrer Stimme dabei haben und so kam es letztlich, dass jede von uns den Ganes-Jodler, den man eigentlich unbedingt zusammen singen muss, zu Hause für sich aufgenommen hat. Und gerade das hat Natalie ganz ausgezeichnet gemacht. Man kann sicher nicht behaupten, dass sie vom Jodeln keine Ahnung hat. Ein frrrrriesischer Jodler!"

Ja, auch dass Natalie Plöger das R rollen kann, war ein Kriterium für die Aufnahme in die Band – die Aussprache muss schon stimmen!

Die CD entstand komplette in Marlenes (mobilem) Heimstudio, für Ganes eine neue Erfahrung.

"Natürlich hat es auch was, in ein 'richtiges' Studio zu gehen, mit einem Produzenten – eben wie wir das vorher immer gemacht haben. Aber es ist auch schön, wenn man sich Zeit nehmen kann. Manchmal ist man um 2 Uhr in der Nacht inspiriert und es klingt einfach anders, wenn Du innerhalb von einer Woche alle Chöre und alle Gesänge einsingen musst, auch wenn Du das manchmal gerade gar nicht fühlst. Du bist schnell in einer Drucksituation, es geht um Zeit und Geld - wir finanzieren ja unsere Produktionen alle selber. Deswegen, aber auch als neue Herausforderung haben wir beschlossen, es dieses Mal komplett selbst zu machen."

Die neue Platte erscheint mir weniger opulent als die Vorgänger, filigraner und beinahe zerbrechlich. Thematisch umkreisen Ganes (wieder) das Thema "Wasser". Wasser als "Or Brüm", was auf Deutsch "Blaues Gold" bedeutet. Es geht um Umwelt- und Klimaschutz, um Verschwendung und Konsum - die durchweg ladinischen Texte sind im booklet wieder in deutscher Übersetzung nachzulesen.

"Wasser ist ein Element, das alles verbindet. Es fließt, verbindet die Berge mit dem Meer und den Wolken – ein großer Zyklus. Man kann damit sehr viele wichtige Themen einbringen, die in ganz unterschiedliche Richtungen gehen."

Ist die "Aria de mer" da vielleicht ein Gruß an Natalies Heimat?

"In diesem Song geht es um zwei wichtige Aspekte", erklärt Elisabeth, die ihn geschrieben hat. "Zum einen kann dir das Meer so viel geben. Schon wenn du nur am Meer sitzt und dich von seinem Klang einnehmen lässt – das gibt einem soviel Frieden und Ruhe. Auf der anderen Seite wird das Wasser gerade so verpestet, ohne dass wir darauf aufpassen. Und solange es nicht vor der eigenen Nase passiert, ist es einem eben doch oft Wurst. Wenn wir in dem Lied sagen 'Ich sehe die Fische im Meer nicht mehr.', dann soll das auch die Frage stellen: 'Wieso sind wir uns nicht bewusst, dass auch die Generationen nach uns das alles noch brauchen werden?'"

Ein anderes starkes Bild ist das in "Assosta", ein Stück, das Marlene geschrieben hat. Ist vielleicht die Musik euer Unterstand, eure Schutzhütte?

"Ja, 'Assosta' bedeutet 'Unterstand', aber ursprünglich war das gar nicht so an die Musik gebunden. Ich habe eher darüber nachgedacht, wie es ist, wenn man schwere Zeiten im Leben durchmacht, auf Sinnsuche ist und sich tausend Fragen stellt und dann in der Natur ist. Es gab Momente, wo ich so krass die Umarmung der Natur gespürt habe. Meist ist man so weit weg von der Natur – und dabei können wir eigentlich gar nicht ohne. Dort dieses Urvertrauen wieder zu finden, dass alles einen Sinn hat, dass alles wie ein Netz zusammenhängt und dass man selbst Teil dieses Netzes ist – das gibt einem das Gefühl, beschützt zu sein. Aber natürlich ist es auch die Musik, klar. Das ist sehr ähnlich."

Das bringt mich zur starken Heimatverbundenheit von Ganes. Marlene erklärt dazu:

"Auch wenn unsere Eltern gar nicht viel von der Welt gesehen haben, waren sie immer sehr weltoffen und haben uns Neugierde beigebracht für verschiedene Kulturen. Deshalb sind wir alle auch zum Studium aus Südtirol weg gegangen. Aber nachdem ich einige Jahre in Berlin gelebt habe, hat mir doch die Natur gefehlt. Deshalb bin ich jetzt nach München gezogen, da ist es ja nur ein Katzensprung nach Südtirol."

Und Elisabeth ergänzt: "Die Naturliebe ist etwas, das wir wie die Musik von klein auf mitbekommen haben. Unsere Eltern sind zwei große Naturmenschen, die viel in den Bergen sind. Wobei wir das keinesfalls romantisieren wollen, dieses 'Wurzeln haben'."

Wie Hubert von Goisern, in dessen Band die Schuens ihre ersten Bühnenerfahrungen sammelten, gelingt es aber auch Ganes zweifellos, Heimatverbundheit mit Weltoffenheit zu kombinieren – im Gegensatz zum eher dumpf-nationalistischen Habitus von Leuten wie Frei.Wild oder Gabalier.

Es gibt auf der CD auch zwei Stücke, die ich "SoundBilder" nennen würde. Versonnene, beinahe ambienthafte Instrumentals, die ihr zusammen mit eurem Trompeter Bernhard Bär entwickelt habt. Eli lacht:

"Ja, der lebt hier bei mir im Haus mit mir zusammen."

Es gibt also keinen Grund für Liebeskummer, wie er bei "Posta por te" verhandelt wird?

"Nein, dazu haben mich eher Bekannte in meinem Umkreis inspiriert. Ich selber bin momentan ganz glücklich!"

Aber zurück zu den Instrumentals – woher kam diese Idee?

"Es war der Gedanke, Klangbilder zwischendrin zu haben, die mit dem Wasser zu tun haben - als Überleitungen. Ob nun als kleine Hackbrett-Spielereien oder als Streicher-Intro, alles soll eine Form von Wasser darstellen. Und diese Trompetengeschichten erinnern an die vielen Höhlen bei uns, in denen das Wasser heruntertropft. Ich stelle mir dann immer vor, dass darin irgendwelche Wesen hausen, die man eigentlich nicht sieht. Daher auch das Geflüster, wie Nymphen, die sich etwas erzählen. Und daneben diese Tropfen – ich habe den Bernhard gebeten, etwas zu spielen, das diese Höhlenstimmung darstellt. Nicht als schöne elegante Trompete, sondern bewusst schlecht intoniert, damit diese Bilder aufsteigen."

Was toll funktioniert – wie überhaupt die Instrumente (gerade das eben erwähnte Hackbrett!) wundervoll in elektronische Effekte eingewickelt werden, ohne die Musik zu ersticken. Das ist Marlenes Spielwiese, oder?

"Die elektronische Seite ist mehr Marlenes Sache, genau."

Wie dürfen wir uns denn die Live-Umsetzung der neuen Ganes vorstellen?

"Wir hoffen sehr, dass live zu spielen im November geht, wir werden es auf jeden Fall versuchen. Die Idee ist aber, dass wir das Ganze relativ klein halten. Aus verschiedenen Gründen: zuerst mal, um auch mal wieder etwas anders zu klingen und zweitens weiß man noch nicht, wie viele Leute wirklich rein können und man muss ja auch schauen, wie man es finanziell über die Bühne bringt. Wir haben z.B. überlegt, ob wir einen Gitarristen oder einen Pianisten mitnehmen und uns jetzt für die Gitarre entschieden. Das ist auch eine interessante Abwechslung – so haben wir mehr Saiteninstrumente. Wir freuen uns sehr darauf, nach dieser langen Zeit überhaupt wieder öffentlich Musik machen zu können und mit unseren Freunden auf der Bühne zu stehen. Es ist wirklich eine schwere Zeit, wenn man das nicht machen kann, was man so liebt. Wenn man wie jetzt monatelang nur am produzieren ist, im stillen Kämmerlein, dann wird einem erst bewusst, dass man das richtig genießen soll, wenn es wieder geht."

Wir Zuhörer dürfen dann natürlich mit genießen!

Aktuelles Album: Or brüm (Sony / Capriola)


Weitere Infos: › www.ganes-music.com

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