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SAFI

Im Dazwischen von Sein und Denken

SAFI

Um es gleich vorweg zu sagen, SAFI ist tonaler Ausnahmezustand. Die exzessive Vehemenz der Stimme fordert die Gitarrensaiten heraus, die heiser auf die Tonabnehmer peitschen. Mehr Intensität auf den Punkt geht nicht. Klang wird multipliziert, aufgeschaukelt, bis ihm nur noch der Ausweg der Explosion bleibt. Krachsituation. Von einem Bruchteil der Sekunde zur nächsten kehrt Stille ein. Flüstern. Klangpause. Aus der die nächste musikalische Attacke aufbraust.

Scheinbare Banalität und alltägliche Verzweiflung

SAFIs Herangehensweise ist aber kein brachialer Krach um des Krachs willen. Sondern er ist für die Künstlerin die pure Notwendigkeit. Ihre scharfen Beobachtungen lassen keine andere musikalische Umsetzung zu. Die Essenz ihres Textmaterials zieht sie aus völlig unterschiedlichen Situationen zwischen scheinbarer Banalität und alltäglicher Verzweiflung. Sie fügt Beobachtungen als neutrale Chronistin in wochen- und monatelanger Sammelarbeit zusammen, um dann die Ergebnisse kleingehackt zum bittersüßen Extrakt schmerzhaft reduzierter Lyrik einzudampfen – so reflektiert SAFI die Ambivalenz des Lebens. Ihr Material findet Safi zwischen Sein und Denken – sie arbeitet mit dem Dazwischen.

Ihre Beobachtungen konzentriert sie auf Dinge, die viele nicht wahrnehmen.

Mit unbefangenem Einsatz von Divergenzen inszeniert Safi lyrisch sorgfältig Störung, Verstörung, Entstellung, Irritation und Infragestellung. Ordnungen und Gewohnheiten existieren, um revidiert zu werden. Die Blickwinkel werden anders eingestellt.

Auch für die Hörer. Schließlich hält es SAFI ganz mit Heiner Müller, der da sagte: „Gegenstand der Kunst ist, was das Bewusstsein nicht mehr aushält.“

Und sie hält es mit sich selber, sagt sie doch im Stück ´Offensichtlich´, „Anderssein macht leise und leise ist viel zu laut.“ Um die musikalische Wirkung noch zu erweitern, sind SAFIs Videos genau so radikal, wie ihre Musik. Der Film zu ´Offensichtlich´ (youtube.com/ watch?v=InO7oVV1jtA) stammt von Florian Vogel, Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, und sollte beim Lesen dieses Textes einfach mal angeschaut werden.



Angriffslustig und stimmgewaltig

Komplexe Schichtungen aus Stimme und Instrumentalem springen aus SAFIs Liedern und nehmen den Zuhörer in einem Netz aus Wucht gefangen. Einer Wucht, die sie zusammen mit ihren zwei Mitstreitern (Matthias Becker, Gitarre/ Bass, Frank Semmer, Schlagzeug) erzeugt. Immer ins Extrem gehend, produziert SAFI massiven Lärm mitten aus der Stille heraus, Safis unglaubliche Stimmgewalt thront dabei über der Szene und beherrscht Tag und Nacht.

„Wenn 30 gestapelte Gitarren notwendig sind, um eine spezielle Stimmung zu illustrieren, dann werden diese konsequent platziert. Und wenn eine einzelne Saite ausreicht, dann regiert Reduktion und musikalische Schlichtheit“, gibt SAFI zu angriffslustig Protokoll. Wenn bei Safi von Angriffslust die Rede ist, liegt die Betonung eindeutig auf Lust. Safi Lust richtet sich auf das famose Wechselspiel zwischen grenzenloser Opulenz und essentieller Reduktion. Ganz egal, ob reduziert opulent, SAFU bringt jedwede Note zur Totalexplosion.

„Wenn dann alles explodiert ist und herumliegt, werden die Teilchen zu neuen, anderen Text- und Klangskulpturen zusammengesetzt“, fährt die Künstlerin fort, „das Brechen mit Hörgewohnheiten ist das kreativ entscheidende Moment für mich. In dem Augenblick, wo ich eine bestehende Struktur aufbrechen kann, setze ich Energie frei. Diese ist der Impuls, um mit und aus ihr Stücke hochzukochen.“

SAFI spürt Spuren nach. Löscht sie durch zuschütten, durch das Einschwärzen von Buchstaben und durch Wegkratzen von Noten. Darunter liegende Schichten, werden wieder sichtbar. Gleichzeit verschwindet etwas und etwas bleibt.

Dabei wird SAFI vom unbändigen Willen geradezu voran getrieben, am Ende immer das Schöne herauszufräsen. und so erschließt sie den Weg in eine bisher eher unbekannte Welt musikalischen Reichtums.

SAFI ist laut und unbequem. Als Grenzgänger zwischen Indie, Avantgarde und Punk greift sie das generelle Unwohlsein und die Zwiespälte unserer Zeit auf und verwandelt sie in pure Energie. Ihre kraftvolle Musik irritiert durch ungewohnte Klang- und Wortformationen, die als assoziative Klangbündel Situationen wie Aggregatzustände umreißen. Jedes Lied von SAFI ist ein existenzieller Schrei, ein einziger kritischer Moment, der sich in die Zukunft frisst und sich anfühlt, wie eine Operation am offenen Herzen ohne Narkose. Und was schrieb der Berliner Tagesspiegel über sie? ´Kein Genuss, ein Muss´. Recht haben sie, manchmal muss es einfach sein!

Aktuelles Album: Janus (PIAS / Rough Trade)

Foto: Stefanie von Becker

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