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GLORIA

Mit Glanz und Gloria

GLORIA

Wenn eine Band sich Gloria nennt, dann provoziert das sofort eine Assoziation nach der nächsten. So denke ich an ein Stück von Van Morrison oder an Preußens Gloria, an Gloria von Thurn und Taxis oder gloria in excelsis deo, an ein Kino oder an Glanz und Gloria. Aber keine der Assoziationen passt ins Bild. Vielmehr geht um das Musikprojekt von Grimme-Preisträger Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol, dem Gitarristen und früheren Bassisten der Band Wir sind Helden. Nach dem selbstbetitelten Debüt von 2013, liegt jetzt mit ´Geister´ die zweite Platte vor.

Alte Hasen

Doch auch schon vor ihrer Debütveröffentlichung sind die Beiden als musikalisches Duo alte Hasen.

„Wir haben schon jahrelang zusammen Musik gemacht, bevor wir an eine Band oder ein Album überhaupt gedacht haben“, lässt Klaas Heufer-Umlauf wissen, „es macht einfach Spaß, zusammen Musik zu machen. Über Musik und über Musikmachen haben wir auch unsere Freundschaft definiert. Und es war auch das Band der Musik, das uns verbunden hat, als wir in verschiedenen Städten wohnten. Also schon etwas sehr Wichtiges, sehr Ernsthaftes.“

Mark Tavassol fügt an: „Bei uns liegt die Zeit ja auch nicht einfach so rum, aber wir haben dem Musikmachen immer die gleiche Priorität eingeräumt, wie anderen Sachen auch.“

Doch irgendwann drängen sich die vielen Stücke und Fragmente immer mehr ins Denken der Beiden und die Lieder legen ihnen nahe, dass sie doch auch eine gute Platte ergeben könnten. So entsteht der Erstling. Ein aufregendes Debüt, aber nicht ein Geschwätziges, das laut nach Starruhm verlangt. „Das Wichtigste ist”, betont Klaas Heufer-Umlauf „diese Platte hätten wir auch gemacht, wenn Mark Arzt und ich Friseur geblieben wären.“

Aber jetzt gibt es eine zweite. Die muss dann schon anders gewollt sein. „Wir haben uns so wohl gefühlt auf der Bühne, mit der Art und Weise, wie wir unsere Lieder präsentiert haben“, erklärt Klaas Heufer-Umlauf, „es war schnell klar, wir fassen eine neue Platte ins Auge. Auch aus ganz pragmatischen Gründen. Schließlich mussten wir auf der Tour feststellen, das wir nicht mehr Lieder im Gepäck hatten, als auf unserer ersten Platte waren, dann noch eine Coverversion. Fertig. Nach etwas mehr als 60 Minuten war die Show vorbei.“



Hunger aufeinander

Als die Konzerte dann abgespielt sind, ist es nicht so, dass Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol erst einmal eine Pause voneinander brauchen. Manche Bands können sich nach einer Tournee ein halbes Jahr nicht mehr in die Augen schauen. Vielmehr haben sie gerade großen kreativen Hunger aufeinander. Das heißt noch lange nicht, dass die beiden Musiker Harmoniebolzen sind.

„Auch bei uns gibt es Reibungen und kreativen Streit“, sagt Mark Tavassol, „aber das bringt uns eher weiter; auch kommt da unsere Freundschaft ins Spiel, nämlich die Tatsache, dass man sich grundsätzlich für jemanden entschieden hat.“

Da zu einer Freundschaft auch dazu gehört, dass man sich über Erlebnisse und Beobachtungen austauscht, mangelt es ihnen an Themen nicht. Und die diffuse Angst vor der zweiten Platte haben sie auch nicht.

„Wir freuen uns auf die zweite Platte, einfach auch deshalb, weil wir mit der ersten und der Tournee viel gelernt haben“, fügt Klaas Heufer-Umlauf an, „wir verstehen jetzt vieles besser. So muss man einfach wissen, dass man sich in bestimmte Strukturen begeben muss, wenn eine Plattenfirma dazu kommt. Diese Strukturen binden einen dann – zumindest für eine bestimmte Zeit.“

Zu solchen Strukturen gehören auch Deadlines.

„Ein kleines Korsett führt einfach oft zu den besten Ideen, eine Deadline kann ein solches sein“, weiß Klaas Heufer-Umlauf. Und Mark Tavassol ergänzt: „Deadlines sind wichtig, aber ich darf ihnen nie zu nahe kommen, dann bin ich wie gelähmt. Doch ich muss dazu noch eine Anmerkung machen. Neben diesen bewusst gesetzten Dingen, die Stücke beeinflussen, gibt es daneben immer noch viel Unbewusstes, was einfließt. Und als Drittes haftet den fertigen Liedern eine Magie an, die auch für uns, als Schöpfer nicht erklärbar ist. Aber vielleicht sollte man gar erst dran rühren.“



Wie funktioniert Kreativität

Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol sind zwei Künstler, die sich damit auseinander setzen, wie Kreativität funktioniert. Wie aus einem zusammenhanglosen Pling, Pling ein fertiges Stück wird. Eins, das voll von der angesprochenen Magie ist. Da Gloria bei ´Geister´ anders an den Stücken gearbeitet haben als bisher, ist es Mark Tavassol, der maßgeblich Auskunft gibt.

„Schließlich hat Mark diesmal eine Menge allein vorgelegt“, sagt Klaas Heufer-Umlauf, „ganz im Gegensatz zur Arbeit am Debüt, bei dem wir immer alles gemeinsam in einem Raum gemacht.“

Als Hörer wünscht man sich oft, ganz romantisch daran glauben zu dürfen, dass die großen Lieder einfach so da sind. Ganz plötzlich vom Himmel gefallen. Jeder Künstler kennt diese speziellen Momente natürlich auch. Aber sie sind rar gesät.

„Disziplin ist aber vielleicht das weitaus wichtigere Stichwort; denn kaum ein Stück fällt fertig vom Himmel“, weiß Mark Tavassol, „ich halte das mit den vom Himmel gefallenen Stück weitgehend für einen Mythos.“

Andererseits ist jedoch auch Fakt, dass man Kreativität auch durch Disziplin nicht erzwingen kann. Aber man kann sich in eine der Kreativität förderlichen Umgebung begeben oder sich in eine entsprechende Stimmung versetzen.

„Ich muss mir zur kreativen Arbeit einen Freiraum schaffen“, fährt Mark Tavassol fort, „ich habe schließlich Familie, die nicht zu kurz kommen darf. Ich bin aber auch keiner, der dann durch diesen zeitlichen Freiraum hetzt und zu sich sagt, jetzt habe ich Zeit, jetzt muss es passieren. Aber wenn ich Ruhe habe und weiß, ich habe jetzt so sieben Stunden Zeit, dann werde ich meist kreativ. Diese Luft zu haben, das fördert Kreativität.“



Disziplin und Musenkuss

„Man kann sich noch so sehr in den Mondschein setzen und die Wölfe heulen lassen oder sich an hunderte lodernde Lagerfeuer setzen und mit der Gitarre auf Eingebung warten oder sich absichtlich in irgendwelche emotionalen Schräglagen begeben, um daraus schöpfen zu können“, gibt Klaas Heufer-Umlauf zu bedenken, „das alleine wird nicht funktionieren. Für mich jedenfalls nicht. Ich sage lieber, wir fangen um Zehn an und schauen, was um Elf da ist.“

Sehr pragmatisch gedacht. Da steht er der Herangehensweise von Mark Tavassol in nichts nach. Von Pablo Picasso gibt es zum Thema Disziplin und Musenkuss einen denkwürdigen Satz:

„Die Muse klopft nicht an deine Tür, wenn sie nicht schon durchs Fenster gesehen hat, dass da jemand arbeitet.“

Klaas Heufer-Umlauf lacht. „Ein Megasatz“, kommentiert er das Zitat. Aber die ausbalancierte Beziehung zwischen Disziplin und dem berühmte Musenkuss ist zwar eine probate und sprudelnde Inspirationsquelle. Eine weitere Inspiration bietet auch andere, bereits vorhandene Musik.

„Wir befinden uns als Musiker ja heute in der luxuriösen Situation, dass wir auf eine Rock’n’Roll-Geschichte zurück blicken können. Das konnten The Beatles beispielsweise noch nicht.“

Musik ist sicherlich nie im luftleeren Raum entstanden, aber es wirbelten noch nie so viele Noten durch diesen Raum, wie heutzutage. Und sich dort zu bedienen, heißt ja nicht etwas zu kopieren, sondern nur, zu wissen, in welcher Tradition man steht.



Der private Blick

Mit all’ dem Angesprochenen gehen Gloria äußerst gekonnt um. Gekonnt heißt, sie liefern Lieder voller Glanz und Gloria ab. Aber das bedeutet nicht, dass die Stücke glatt poliert sind. Klaas Heufer-Umlauf und Mark Tavassol haben die Souveränität besessen, ein Instrument auch mal knarzen zu lassen oder ein Geräusch, das sich eingeschlichen hat, dort zu belassen, wo es sich eingenistet hat. Auch für etwas Anderes findet sich viel Platz in den Gloria-Kompositionen. Für das zutiefst Private der Erlebnisse und Beobachtungen. Und dabei geht es meist nicht um irgendwelche banalen Nebenbeibeobachtungen. Es geht um die Substanz. Um Scharfsinn. Um Politisches. Höchstpolitisches. In den Geschichten von Gloria geht es um unreflektiertes Dasein, um Leugnen und Vergessen oder um blinden Gehorsam. Dieses Zulassen des privaten Blicks macht die Wirkung der Stücke aus. Auch gerade deshalb bieten sie für jeden einen Anknüpfungspunkt; denn das Private ist eben sehr viel politischer, als das sloganhafte Vortragen von Parolen oder die Botschaft mit dem erhobenen Zeigefinger. Und diese Texte surfen so leicht und locker auf wunderbar geschwungenen Melodiebögen, springen flockig und entspannt von perlender Klaviernote zu perlender Klaviernote, dass es eine wahre Wonne ist, zuzuhören. Der Geist wird beflügelt und die Hörnerven gekitzelt. Und das ist großartig!

Aktuelles Album: Geister (Grönland / Rough Trade) Vö: 07.08.

Foto: Erik Weiss

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