"Ich war bereit für einen Neuanfang", sagt Thalia Zedek im WESTZEIT-Interview, und wie ernst es ihr mit dieser Aussage ist, kann man auf dem neuen Album der Thalia Zedek Band spüren, wenn die legendäre Musikerin aus Boston, Massachusetts, die Markenzeichen ihres unverkennbar eigenen (Indie-) Rock-Sounds im Spannungsfeld von Schwere und Melodie in ein neues Licht taucht. Statt Viola und Piano ergänzt nun eine wie nicht von dieser Welt klingende Pedal-Steel-Gitarre das Standard-Instrumentarium mit Gitarre, Bass und Schlagzeug, und auch textlich wirft Zedek nach einer Reihe politisch-kämpferischer Platten dieses Mal einen eher grüblerischen Blick nach innen, um die Komplexität des Lebens zu meistern. Deutschland-Konzerte soll es im Oktober geben.
Seit mehr als 40 Jahren sorgt Thalia Zedek nun schon im US-Untergrund für Furore, in den 80ern in Bands wie Uzi oder Live Skull, in den 90ern bei Come und seit inzwischen 25 Jahren auch als Solistin bzw. im Schoß der Thalia Zedek Band. Tatsächlich ist sie jetzt in einem Alter, an dem andere ans Aufhören denken, aber das ist für sie keine Option. "Im Laufe der Jahre habe ich erkannt, dass das Musikmachen etwas ist, das für meine körperliche und geistige Gesundheit absolut notwendig ist", erklärt sie. "Wenn ich es nicht tue, fühle ich mich einfach nicht so gut. Egal, ob ich mit meiner Band probe, auf der Bühne auftrete oder zu Hause Gitarre spiele – das Musikmachen sorgt dafür, dass ich mich besser fühle".Dass Zedek lange noch nicht genug hat, unterstreicht auch das neue Album. Nachdem sie auf den Vorgängern ´Fighting Season´ (2019) und ´Perfect Vision´ (2021) eher an den Nuancen ihres Sounds gefeilt hatte, gleicht ´The Boat Outside Your Window´ einem Aufbruch zu neuen Ufern. Die auffälligste Neuerung: Erstmals überhaupt auf einer Platte unter ihrem eigenen Namen hat sie dieses Mal nicht Viola-Spieler David Michael Curry und Pianist Mel Lederman an ihrer Seite. Stattdessen sorgt nun Karen Sarkisian an der Pedal-Steel-Gitarre für völlig neue Klangfarben, nicht zuletzt, weil sie so fantasievoll zu Werke geht, dass das Gespenst des countryesken Traditionalismus keine Chance hat. Die Musikerin, die nun gemeinsam mit Winston Braman (ehemals Fuzzy und einst auch bei Come) und Karate-Schlagzeuger Gavin McCarthy die Band komplettiert, ist allerdings kein unbeschriebenes Blatt. Schon auf ´Perfect Vision´ gastierte sie auf einem Song, und tatsächlich reicht ihre Verbindung zu Zedek noch viel länger zurück. "Ich traf Karen zum ersten Mal in den 90er-Jahren, als Come gerade anfingen", erinnert sich Zedek. "Damals spielte sie noch keine Pedal Steel, sondern Akustikgitarre, und sie sang. Wir bewegten uns in unterschiedlichen musikalischen Kreisen, hatten aber gemeinsame Freunde. Ich sah sie gelegentlich auf Partys oder bei Shows, aber wir standen uns nicht nahe."
Später wurden sie Facebook-Freundinnen, und da realisierte Zedek, dass Sarkisian begonnen hatte, Pedal Steel zu spielen. "Ich hatte etwas über die Arbeit an einer neuen Platte während der Pandemie gepostet (´Perfect Vision´), und sie schrieb mir und bot mir an, Pedal Steel zu spielen, wenn ich irgendwelche Songs hätte, die es bräuchten", erklärt Zedek. "Ich dachte sofort an den Song ´Cranes´, und Karen nahm schließlich einen wirklich tollen Steel-Part für diesen Song auf. Ich bat sie, bei einigen Plattenveröffentlichungsshows für ´Perfect Vision´ in New York und Boston mitzuspielen. Zu dieser Zeit hatte Dave die Band bereits verlassen und Mel war auch schon eine Weile weg. Karen schlug vor, dass sie auch bei anderen Songs mitspielen könnte, und endete damit, dass sie einfach bei dem ganzen Set dabei war. Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren würde, beschloss aber, es auszuprobieren, und die Pedal Steel war letztlich der perfekte Ersatz für den Platz, den die Keyboards und die Bratsche eingenommen hatten. Karen hat ein großartiges Gehör und eine sehr songbezogene Herangehensweise. Sie fügt genau das hinzufügt, was benötigt wird, und nicht mehr. Es ist ein Vergnügen, mit ihr zu arbeiten!"
Die Beschränkung auf die Quartettbesetzung führt dazu, dass der Sound auf ´The Boat Outside Your Window´ bisweilen weniger dicht ist. Doch was macht denn für Zedek selbst den größten Unterschied zu ihren früheren Platten aus? "Die Pedal Steel ist natürlich neu, außerdem sind die Songs in Tempo und Tonart ein wenig peppiger geworden", erwidert sie. "Es gibt viel mehr Songs in Dur. Ich glaube, ´Aliyah´ und ´Dissolve´ sind die einzigen, die wirklich in Moll sind, was für mich ungewöhnlich ist."
Doch nicht nur klanglich bedeutet das neue Album eine spürbare Kurskorrektur. Auch textlich gibt es dieses Mal einen anderen Schwerpunkt. Auf Platten wie ´Fighting Season´ und bei ihrer Arbeit mit ihrer anderen Band E hatte sich Zedek zuletzt explizit mit der politischen Lage in den USA auseinandergesetzt. Doch obwohl wir uns jetzt in einer weiteren fighting season befinden, ist das neue Album textlich viel stärker nach innen gerichtet. "Es gibt definitiv einige politische Songs auf dieser Platte, aber du hast recht, sie ist persönlicher und nach innen gerichtet", bestätigt sie. "Das ist einfach das, was mir durch den Kopf ging. Die Songs wurden vor der Wahl fertiggestellt und wurden direkt danach aufgenommen, bevor Trump offiziell im Amt war. Heute ist die Welt eine ganz andere. Die USA gleiten in eine Autokratie ab, und es ist nicht klar, ob wir in der Lage sein werden, das aufzuhalten. Die "Regierung", wie wir sie kannten, wurde im Grunde von der derzeitigen Regierung entlassen und durch Trumps Speichellecker ersetzt. Es sind dunkle Zeiten in den USA, und man kann den Stress jeden Tag spüren."
Aktuelles Album The Boat Outside Your Window (Thrill Jockey/Rough Trade)
Weitere Infos: https://thaliazedek.bandcamp.com Foto: Mark Shaw
©1996-25 WESTZEIT | 2025.06.01 | Autor: Carsten Wohlfeld | Foto: Mark Shaw | › kontakt › impressum › datenschutz