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PAUL WELLER

Rückblick nach vorne

PAUL WELLER

Auf seinem 15. Solo-Album „On Sunset“ erinnert uns Paul Weller an die Zeit vor Corona – als an Wochenenden getanzt wurde, David Bowie das Chamäleon gab und Bond-Filme von britischen Künstlern vertont wurden.

Dein neues Album „On Sunset” ist zwar vor der Corona-Pandemie entstanden, fängt das aktuelle Lebensgefühl aber sehr gut ein. Der Song „Mirror Ball“ beschwört zum Beispiel die Magie von Tanzsälen und Live-Musik. Eine prophetische Eingebung?

"Wenn ich die hätte, würde ich auf Sachen wetten, die sich lohnen. Momentan kann man nur hoffen, dass diese Zeiten bald zurückkehren. Und es ist irre, dass das Thema Live-Musik so aktuell ist. Ich meine, ich habe nur ein bisschen in Kindheitserinnerungen geschwelgt und dabei festgestellt, wie sehr ich das vermisse. Ich denke, wir werden alle sehr glücklich sein, wenn wir endlich wieder ausgehen dürfen."

Stücke wie „More“ äußern sich dagegen kritisch zur „mehr und mehr“-Mentalität – und unserer mangelnden Empathie gegenüber Menschen, denen es schlechter geht. Erinnert uns Covid-19 insofern auch an Sachen, die wirklich wichtig sind?

"Ja, seit Jahren wird nur noch gepredigt, dass größer und mehr besser sind – und wir immer mehr materielle Dinge anhäufen müssen. Nicht, weil wir sie brauchen, sondern weil sie Statussymbole sind. In Amerika ist die Maßlosigkeit allein in immer größeren Portionen an Essen und Trinken sichtbar. Man stopft alles in sich hinein, weil es halt da ist - nicht, weil man dadurch glücklicher wäre."

Während du selbst – wie du es in „Village“ formulierst - keine Ambitionen hast, den Mount Everest zu erklimmen?

"Das stimmt. Ich mag die Vorstellung, dass jemand rundum glücklich mit seinem Leben ist, und keine höheren Ambitionen hat. Also nicht irgendwelche Bergspitzen erreichen will."

Wie viel Paul Weller steckt darin?

"Einiges. Ich habe alles erreicht, was ich im Leben erreichen wollte, und es in vollen Zügen genossen. Gut, in Amerika habe ich keine großen Spuren hinterlassen, aber damit kann ich leben – mir reicht es in England und Europa zu touren. Außerdem bin ich ein Familienmensch: Ich habe acht Kinder, die mich auf Trab halten, und ein Zuhause, in dem ich mich wohlfühle. Ich muss keinen Luftschlössern hinterherjagen."

Die Lebensweisheit von „Old Father Tyme“, um einen weiteren Song zu zitieren?

"So komme ich mir manchmal vor. Und ich habe mich vor kurzem mit einem Freund unterhalten, der noch älter ist als ich – 64. Ich meinte zu ihm, wie seltsam es wäre, ein Alter zu erreichen, in dem man Teil der Geschichte wird. Nicht, weil man berühmt wäre, sondern weil man in seinem Leben einige historische Ereignisse erlebt hat. Und ob wir wollen oder nicht: Wir werden alle älter. Insofern muss man das Beste daraus machen und so viel ausprobieren wie möglich – ohne viel Zeit mit Nachdenken zu verschwenden."

Äußert sich das auch in deiner Musik – oder wie kommt es, dass du so viele unterschiedliche Stile von R&B bis Orchester-Pop abdeckst?

"Die Zeit vergeht so schnell, dass ich versuche, so viel und so abwechslungsreich zu schreiben wie möglich. Also bevor ich den Löffel abgebe, Mann. Es gibt keine bessere Zeit als das Hier und Jetzt, um so viel Gutes zu schaffen wie eben möglich."

Das Album endet mit „Rockets“ – ist das dein „Space Oddity“, deine Hommage an David Bowie?

(lacht) "Musikalisch bestimmt. Und ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte ihn mal getroffen. Das hätte ich wahnsinnig gerne. Meine Frau ist noch ein größerer Fan als ich – sie war es auch, die unseren Sohn unbedingt so nennen wollte. Aber es hat nicht sollen sein."

Ist deine aktuelle Frisur inspiriert von der legendären Haarpracht von Bowies langjährigem Sidekick, Mick Ronson?

(lacht laut) "Nicht wirklich. Ich meine, ich finde meine Frisur toll, aber sie ist kein Mick. Und meine Haare sind auch nicht wirklich blond, sondern grau. Kann sein, dass das Nikotin da reflektiert und für eine farbliche Verfremdung sorgt. Aber: Selbst, wenn ich daran etwas ändern wollte, könnte ich das momentan nicht – weil in Großbritannien alle Frisöre geschlossen haben. (lacht) Von daher habe ich keine Wahl, außer es wachsen zu lassen. Und ich schwöre: Sobald der Corona-Spuk vorbei ist, werden Frisöre ein Vermögen machen."

Während du auf einen Bond-Song spekulierst, der angeblich fast fertig ist?

(kichert) "Ich würde sagen, das Thema ist durch – es hat nicht funktioniert. Noel Gallagher, mit dem ich daran gebastelt habe, war nicht überzeugt. Ich fand die kleine Melodie, die wir hatten, eigentlich ganz gut, aber leider haben wir nie eine Antwort von der Produktionsgesellschaft bekommen."

Was hältst du von Billie Eilishs „No Time To Die“?

"Tja, sie ist jung und hip. Was wohl entsprechend berücksichtigt wurde und was ich akzeptieren muss. In den 90ern hätten sie wahrscheinlich eine andere Wahl getroffen."

Wann kommen wir in den Live-Genuss deiner neuen Songs? Anfang 2021?

"Hoffentlich! Wir haben sämtliche Konzerte aufs nächste Jahr verschoben, und ich wünsche mir, dass wir alle bis dahin durchhalten. Irgendwie…"

Aktuelles Album: On Sunset (Universal) VÖ: 12.06.

Foto: Polydor

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