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DESPERATE JOURNALIST

"Sich betrinken und Knöpfe drücken!"

DESPERATE JOURNALIST

Desperate Journalist entdecken die Möglichkeiten: Auf seinem beeindruckenden fünften Album, ´No Hero´, tauscht das britische Post-Punk-Quartett immer öfter die Gitarren gegen einen Poly-Synth ein und findet so spielerisch neue Möglichkeiten, seine Vorliebe für Ohrwurm-Melodien, mitreißende Basslinien und aufwühlende Refrains in Dimensionen zu bugsieren, in denen Pop kein böses Wort mehr ist.

Gegründet haben Sängerin Jo Bevan, Gitarrist Rob Hardy, Bassist Simon Drowner und Schlagzeugerin Caroline Helbert (alias Caz Hellbent) Desperate Journalist vor mehr als zehn Jahren, weil sie gelangweilt waren von all den "Style over Substance"-Bands, die damals im Dunstkreis von Post-Punk, Shoegaze und Indie-Goth ihr Image über die Musik stellten. Tatsächlich sind Desperate Journalist in all den Jahren ihren Idealen treu geblieben, wovon nicht nur vier bemerkenswerte Platten zeugen, die zwischen 2015 und 2021 erschienen sind. Auch ´No Hero´, ihr just erschienenes fünftes Album, unterstreicht bereits im Titel, dass die Band keinerlei Interesse verspürt, sich gängigen Trends an den Hals zu werfen, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Doch wie hat sich mit der Zeit die Rolle der Musik in ihrem Leben verändert? "Wow, das ist eine große Frage!”, antwortet Frontfrau Jo Bevan im WESTZEIT-Interview lachend. "Sie spielt eine riesengroße Rolle! Wir alle verbringen praktisch unsere gesamte freie Zeit mit Dingen, die mit Musik zu tun haben, wenn wir nicht sogar Musik machen. Wir waren alle einfach schon immer ziemlich besessene Musikfans und in verschiedene Bands und Projekte involviert. Was sich in Bezug auf meinen Umgang mit Musik verändert hat, ist, dass ich jetzt ein bisschen mehr über Produktion weiß. Ich denke, dass wir uns alle ein bisschen mehr mit dieser Seite des Entstehungsprozesses angefreundet haben."

Das kann man auf ´No Hero´ auch hören, denn während zu Beginn der Karriere von Desperate Journalist vor rund zwölf Jahren noch dringliche Live-Energie den Ton angab, sind die neuen, aus der Freude am Experimentieren entstandenen neuen Songs Arrangement- und Produktions-technisch deutlich komplexer, wenn sie sich, schräger und zugleich poppiger als je zuvor, über enge Genreschubladen hinwegsetzen und lässig Post-Punk, Synth-Pop, New Wave, Indie-Rock und mehr streifen. Grund für die dezente, aber doch allgegenwärtige klangliche Neuausrichtung ist nicht zuletzt, dass inzwischen der Synthesizer eine wesentlich größere Rolle spielt, ohne deshalb das klassische Rock-Quartett-Besteck mit Gitarren, Bass und Schlagzeug vollends zu verdrängen. "Wir sagen jedes Mal, dass wir etwas anderes machen wollen, aber ich glaube, dieses Mal haben wir etwas WIRKLICH anderes gemacht", sagt Bevan. "Ich bin wirklich neugierig, wie die Menschen, die unser älteres Zeug mögen, auf das neue Album reagieren werden. Die Veränderung war eine bewusste, aber auch eine intuitive, denn Rob spielt das Keyboard wie eine Gitarre. Es fühlt sich nicht störend an, und jedes Mal, wenn wir den Synthesizer benutzt haben, haben wir ihn nicht einfach nur draufgepappt."

Während des Demo-Prozesses kehrte die Band gewissermaßen zu der naiven Herangehensweise zurück, die man eigentlich nach der ersten Platte für immer hinter sich lässt. "Als wir Demos gemacht haben, ging es ausschließlich darum, herauszufinden, wie die neuen Werkzeuge funktionieren", erinnert sich Bevan. "Es war buchstäblich ein Sich-Betrinken-und-Knöpfe-Drücken: 'Was macht das hier?' Das ist eine wirklich schöne Art, Dinge zu erforschen. Ich glaube, wir haben uns einfach organisch entwickelt, indem wir versucht haben, neue Wege zu gehen." Die Faszination für ein stärker durch Synthesizer geprägtes Klangbild kam natürlich nicht aus dem Nichts. "Als Hörerin war ich schon länger an dem Synthesizerkram interessiert", verrät Bevan. "Rob war es in etwas geringerem Maße, aber ich glaube, jetzt ist er ziemlich begeistert davon, mehr über Tangerine Dream und all die analogen psychedelischen Synthesizer-Bands zu lernen. Wir haben uns also in Bezug auf das, was wir alle mögen, ein wenig verändert, aber mit der gleichen obsessiven Ader wie zuvor."

Textlich bleibt Bevan derweil ihrem Faible für einen dystopischen Anstrich treu, was auf dem neuen Album einen spannenden Kontrast zur oft ungeniert eingängigen Musik bildet. Doch wonach sucht sie eigentlich mit ihren oft augenzwinkernd-zynischen Texten? "Das ist eine sehr gute Frage", erwidert sie. "Was die Texte angeht, so mag ich immer Dinge, die ernsthaft sind. Nicht im Sinne von 'ernsthaft erzählt', sondern im Sinne von: 'Die Person meint es wirklich ernst und verfällt nicht in Slogans.' Ich mag es auch, wenn es etwas leicht Verborgenes, etwas leicht Poetisches gibt. Ich finde, die erfolgreichsten Texte sind immer die, die offensichtlich sehr persönlich sind, aber trotzdem auf eine für andere nachvollziehbare Weise ausgedrückt werden. Wenn das Ganze überhaupt keine künstlerische Note hat, dann lässt es mich meistens eher kalt, ein bisschen Poesie darf es schon sein!"

Jetzt kann es Bevan kaum erwarten, die Songs endlich auch live vor Publikum zu spielen. Eine Deutschland-Tournee ist noch nicht bestätigt, aber für das Frühjahr 2025 anvisiert. "Ich genieße es wirklich sehr, die neuen Songs zu proben!", gesteht sie. "Wir hatten bisher einen Gig, in Southend vor ein paar Wochen, und es war großartig. Es war ziemlich aufregend, diese Sachen live zu spielen, aber auch eine Menge Arbeit, denn sie sind mehr denn je Studio-Kreationen. Es war unglaublich befriedigend, diese Songs endlich live zu singen, denn es sind wirklich aufregende Songs!"



Aktuelles Album: No Hero (Fierce Panda/Cargo)



Weitere Infos: desperatejournalist.co.uk Foto: Eva Vermandel

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