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HALF WAIF

Die Sprache des Herzens

HALF WAIF

In den letzten zehn Jahren hat sich Nandi Rose Plunkett – besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Half Waif – mit Übersicht, Augenmaß und einer konsequenten musikalischen Neugier ein bemerkenswertes Oeuvre von bis dato fünf Solo-LPs erarbeitet. Dabei entwickelte sie – zusammen mit ihrem musikalischen Partner Zubin Hensler - für jedes dieser Alben ein musikalisches Konzept, das auf die jeweiligen Umstände von Nandis Seelenheil zum Zeitpunkt der Aufnahmen zugeschnitten war. Die letzten beiden Alben „The Caretaker“ und „Mythopoetics“ entstanden dabei gar während der Pandemie-Phase und spiegelten demzufolge die Themen Isolation und den Bezug auf das Ich wieder. „Mythopoetics“ - eine Sammlung von auf Gedichten basierender Songs, die auf Vorschlag des Plattenlabels als Single-Titel konzipiert werden sollten – spielte Nandi entgegen ihrer Gewohnheiten sogar ganz alleine – über die Lockdown-Distanz hinweg - mit Zubin Hensler ein. Nach zwei Alben, die unter den besonderen Umständen der Weltenkrise entstanden waren, sollte das nun vorliegende Album „See You At The Maypole“ anders werden. So wollte Nandi endlich eine lebensbejahende, von der Natur inspirierte Scheibe erschaffen, an der dann auch wieder ein Vielzahl von befreundeten Musikern kollaborativ mitwirken sollten. Die Zeichen standen gut. Als Nandi erfuhr, dass sie mit ihrem ersten Kind schwanger war, wollte sie das Album als Zelebration des beginnenden, neuen Lebens anlegen. Leider sollte es nicht so sein, denn das Kind verstarb noch im Mutterleib und Nandi musste eine traumatische Fehlgeburt verkraften. Letztlich ist das neue Album dann auch ein Zeugnis dessen, was Nandi in dieser Phase durchmachen musste. Wie das oft der Fall ist, war dabei die Musik das Einzige, was ihr wirklich helfen konnte, mit dieser Situation umgehen zu können.

Gab es denn überhaupt einen Masterplan bezüglich des neuen Albums?

„Nun nachdem ich technisch gesehen zwei Pandemie-Alben herausgebracht hatte, wollte ich nicht auch noch ein drittes machen“, führt Nandi aus, „ich begann bereits 2021 neue Songs zu schreiben und hatte mich zu diesem Zweck in eine Waldhütte zurückgezogen und war bereit, ein Album über die Reise in die Mutterschaft zu schreiben. Es waren für mich aufregende Zeiten, in denen sich ein Tor in einen neuen Teil meines Lebens zu öffnen schienen. Aber das Universum hat so diese Eigenschaft, sich einem in den Weg zu stellen. Ich wurde also gezwungen, mich von dem Weg abzuwenden, den ich für das Album vorgesehen hatte – und es wurde so zu etwas ganz anderem. Das waren die Saaten, aus denen das Album dann entstand.“

Warum aber nannte sie das Album „See You At The Maypole“?

„Ein Maibaum steht ja für den Beginn des Frühlings“, erklärt Nandi, „man kommt aus einem langen Wintersumpf hervor und dann gibt es die Feier zum ersten Mai und dem Kommen des Frühlings. Das ist eine fruchtbare Zeit und es gibt diesen kommunalen Aspekt einer Gemeinschaft von Menschen, die zusammen kommen um diese Zeit zu zelebrieren, indem sie die Bänder des Maibaums flechten und damit den Zusammenhalt einer starken Verbindung symbolisieren. Ich war ja zu der Zeit in diesem wirklich tiefen Winter meines Lebens – nicht nur, weil ich die Fehlgeburt verkraften musste, sondern auch, weil ich mich wirklich sehr verwirrenden medizinische Komplikationen ausgesetzt sah, die meinem Körper nicht ermöglichten, sich zu erholen. Ich war in diesem augenscheinlich endlosen Winter festgefroren und sehnte mich wirklich nach einem Frühling, der Gefühle der Hoffnung und der Fruchtbarkeit vermitteln könnte.“

Das heißt also, dass die Scheibe – obwohl es auch um ernste, düstere Themen geht, im wesentlichen Hoffnung und Trost vermitteln soll?

„Exakt“, bestätigt Nandi, „die Musik soll helfen. Seit ich mich mit 14 entschloss eine Songwriterin zu werden, als sich meine Eltern trennten und meine Familie auseinanderfiel, war die Musik für mich eine Art Überlebensinstinkt. Ich nehme das, was ich tue sehr ernst, aber es gibt auch eine gewisse Verspieltheit. Sich in einen Raum zu setzen und Musik aus dem Nichts heraus zu erschaffen macht so viel Spaß. In Zeiten der Abrechnung, der Transformation, des Wandels war die Musik für mich stets überlebenswichtig. Zugleich ist Musik die beste Art, die ich mir vorstellen kann, meine Zeit zu verbringen."

Außerdem kann Musik ja auch dann helfen, wenn Logik und Vernunft nicht mehr weiterhelfen.

„Ich denke, das ist sehr wahr“, meint Nandi, „das Zusammenwirken verschiedener Elemente ist das, was die Musik zu einer so kraftvollen Kunstform macht. Du hast da die Texte, Du hast den Klang der Stimme – und wenn es keine Stimme gibt, dann hast Du den Klang der Instrumente. Es gibt die Akkordformen und die Rhythmen. Es ist als kämen all diese Dinge zusammen um gemeinsam die Sprache des Herzens zu sprechen.“

Ist es eigentlich korrekt anzunehmen, dass Nandi sich für ihren eigenen Weg der Heilung weniger die Hilfe andere Personen gesucht hatte, sondern mehr die mystischen Kräfte der Natur? In ihren Texten kommen ja immer wieder Bezüge in dieser Richtung vor (beispielsweise singt sie in dem Song „Heartwood“ aus der Perspektive eines Baumes).

„Auf jeden Fall war das so in der Zeit, in der ich Songs geschrieben habe“, sagt Nandi, „ich lebe auf dem Land und gehe jeden Tag raus in die Natur – auch im Winter, wenn es bitter kalt ist - und ich mag die Kälte überhaupt nicht. Das wurde dann zu einem Mantra für mich: 'Es ist dann okay sich unangenehm zu fühlen'. Ich ging also im Winter auf diese Spaziergänge und sagte mir das immer wieder. In diesem Sinne fand ich dann tatsächlich Heilung und Trost in der Natur."

Anders als auf dem letzten Album „Mythopoetics“, das Nandi ja alleine mit ihrem musikalischen Partner Zubin Hensler einspielte, wirken ja dieses Mal eine Menge verschiedener Musiker mit.

„Ja, denn während ich an dem Album arbeitete, war es notwendig andere Menschen mit ins Spiel zu bringen – auch um diese farbenfrohe Klangpalette erzeugen zu können, die ich mir vorgestellt hatte“, führt Nandi aus, „auf meiner letzten Scheibe 'Mythopoetics' waren es ja nur Zubin Hensler und ich – aber dieses Mal gab es eine große Schar an Mitstreitern, um auch diese feiern zu können."

Ist das dann vielleicht auch der Grund, warum dieses Album das bislang organischste im Half Waif Oeuvre geworden ist – mit Streichern, Bläsern und Harfe? Denn ursprünglich begann das Projekt ja in einem fast rein elektronischen Umfeld.

„Ja, das ist richtig“, pflichtet Nandi bei, „es gibt zwar auch hier elektronische Komponenten und Elemente, aber auf der anderen Seite deutlich mehr organische Sounds und Live-Performances auf dieser Scheibe. Wir stellen gerade die Live-Show mit der Band zusammen und es macht Spaß mit diesen organischen Texturen zu arbeiten, anstatt sich total auf Computer zu verlassen.“

Wie führt Nandi Rose überhaupt Inhalte und Musik zusammen?

„Das ist eine gute Frage“, überlegt sie, „es variiert von Song zu Song würde ich sagen und kann viele verschiedene Formen annehmen. Auf dieser Scheibe ist es allerdings so, dass es um eine coole Übung für mich ging, die ich bis dahin noch nicht angewendet hatte. Es ging um eine Art Stream Of Consciousness-Ansatz. Ich habe dabei mit meinem Voice-Memo gearbeitet. Der Song 'Sunset Hunting' entstand komplett auf diese assoziative Weise. Ich habe dann erst im Nachhinein musikalische Akkorde hinzugefügt. Es gab auch wieder Songs, die auf bereits existierenden Gedichten basierten, zu denen ich dann Musik hinzugefügt habe – wie auf dem 'Mythopoetics'-Album. 'Velvet Coil' ist etwa so entstanden. Ich denke aber auch, dass es mehr Geschichten auf dem Album gibt, denn in vielen Fällen hatte ich zuerst die Texte – was ungewöhnlich für mich ist. Normalerweise schreibe ich die Musik zuerst. Dadurch wurde das Erzählen von Geschichten und das Beschreiben von Bildern dieses Mal konkreter, weil die Worte die Musik führten.“

Wenn Nandi darauf hinweist, dass auf diesem Album die Worte die leitende Funktion übernommen hätten – wie sieht es denn mit der Musik aus? Entwickelt diese nicht auch zuweilen ein gewisses Eigenleben?

„Absolut“, stimmt Nandi zu, „der erste Track des Albums – 'Fog Winter Balsam Jade' – war der erste Song, den ich nach der Fehlgeburt geschrieben habe. Dieser Song begann mit einer wortlosen, emotionalen Melodie-Linie und die Worte kamen erst später hinzu. Tatsächlich geht es immer um eine Kommunikation der verschiedenen Elemente – Worte, Akkorde, Melodien, Harmonien, Texte. Ich liebe es, dass ich die Möglichkeit habe, mich meinen Songs auf verschiedene Weisen nähern zu können. Ich würde mich schnell langweilen, wenn ich meine Songs auf immer dieselbe Weise schreiben wollte. Ich mag es, über verschiedene Ansätze zu verfügen. Das Kunststück ist dann, die beste Methode zu finden, die Musik zu teilen. Mein Anspruch an meine Musik ist sie als Vehikel für meine persönliche Entwicklung zu sehen. Ich hoffe, mehr über mich und mein Handwerk lernen zu können – in der Hoffnung, dass ich das dann auch auf die Hörer überträgt.“

Mit dem Album „See You At The Maypole“ (und an einem Buch mit Memoiren, an dem sie zur Zeit arbeitet) hat Nandi das düsterste Kapitel ihres Lebens auf kreative Weise verarbeitet und in gewisser Weise auch hinter sich gelassen. So ist sie heute etwa die Tochter eines 15 Monate alten Sohnes und blickt demzufolge auch wieder zuversichtlich in die Zukunft. Zeit also, das nächste Kapitel aufzuschlagen?

„Auf jeden Fall“, pflichtet Nandi bei, „das nächste Kapitel wird aber definitiv ein neues sein. Ich denke, dass ich über diese Phase meines Lebens zwischen Album und Buch genug nachgedacht habe. Ich muss Dir aber auch gleich sagen, dass ich noch keine Ahnung habe, wie das nächste Kapitel aussehen könnte. Mein Herz ist zur Zeit auf Empfang gestellt und ich bin offen für alles.“

Aktuelles Album: See You At The Maypole (Anti/Indigo) VÖ: 04.10.


Weitere Infos: halfwaif.com/ Foto: Logan White

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