
Isolation Berlin waren auch schon eine tolle Liveband, als sich das noch nicht weit genug herumgesprochen hatte und es auf ihren Konzerten mitunter noch reichlich Platz zum Tanzen gab. Und obwohl Platz zum Tanzen zu haben an sich etwas Gutes ist, war das Anfang März im ausverkauften Gebäude 9 zum Glück nur äußerst eingeschränkt der Fall. Tobias Bamborschke & Co. bewiesen an jenem Abend, dass auch Emotionen manchmal sehr gut altern können.
Wer im Vorfeld des Konzertes versucht hatte, etwas über den Support Act Schramm herauszufinden, wird möglicherweise über eine Industrial-Band gleichen Namens gestolpert sein, die mit dem tatsächlich gebuchten Musiker und seinen beiden Mitstreitern erfreulicherweise nichts zu tun hat. Schramm bezeichnet seine Musik auf seiner Bandcamp-Seite als „low-fidelity high-energy Indie Rock with post punk and new wave influences, but very good“. Auch das Stichwort ‚Neue Neue Deutsche Welle‘ fällt, „but it's not very Deutsch actually. And not very neu as well, but it’s really nice“. Diesem selbstbewussten, jedoch keineswegs arroganten Statement kann man sich am Ende des acht Songs umfassenden Sets nur anschließen: Lieder wie „Graublau“, „Vertraut“ oder „I Died When You Asked Me To Go Out“, die durchaus auch Drangsal gut zu Gesicht stehen würden, bleiben bereits nach erstmaligem Hören sofort im Kopf und erklären, warum Schramm seinem Publikum an jenem Abend nur noch T-Shirts als Merchandise anbieten konnte – das letzte Exemplar der Vinyl-Scheibe mit seinen ersten beiden EPs wurde nämlich am Vorabend verkauft, wie der Künstler während seines Auftritts voller Stolz und Zufriedenheit berichtete.Wer sich mit Devotionalien der Hauptband eindecken wollte, hatte zugleich die Möglichkeit, seinem Unmut über die Veröffentlichungspolitik rund um das letzte Iso-Album „Electronic Babies“ Luft zu machen: „Ich streame nicht und will auch keine mp3-Dateien kaufen. Und 180g Vinyl will ich schon gar nicht – das ist doch keine Wurst!“ ist in einer Kundenrezension eines Online-Shops zu lesen, die ausgedruckt am Merch-Stand ausgelegt war, und auf der man durch den Eintrag in eine Strichliste Interesse an einer CD-Version des bislang nur auf Vinyl erhältlichen Albums bekunden konnte.
Zurück zur Musik: Isolation Berlin legten bei ihrem Auftritt mit „Kicks“ vom 2018er Album „Vergifte dich“ direkt mit voller Kraft und Intensität los. Beim Blick auf die Bühne hatte man das Gefühl, die Zeit wäre stehengeblieben: Trägt Sänger Tobias Bamborschke etwa noch immer dieselbe Schirmmütze, noch immer dieselbe Lederjacke wie in den Anfangstagen der Band? Es sieht ganz danach aus…
Der optische Eindruck größtmöglicher Verlässlichkeit wird von der musikalischen Darbietung an diesem Abend vollumfänglich gespiegelt: Wenn Songs zum Zeitpunkt ihres Erscheinens eine ungeheure Aktualität und Dringlichkeit vermitteln, liegt es ja durchaus nahe, die Sorge zu entwickeln, dass sie – wenn sie Jahre später dann immer noch auf Setlisten stehen – möglicherweise nur noch blutleer heruntergespielt werden, während die ausführenden Künstler*innen inzwischen von ganz anderen Themen und Gefühlen bewegt werden. Solche Befürchtungen erwiesen sich im vorliegenden Fall jedoch als gänzlich unbegründet: „Ich will mit dir spazieren gehen, Zigaretten und Schnaps mitnehmen“ – diese Worte glaubt man Tobias Bamborschke noch immer aufs Wort und würde für „Annabelle“ jederzeit sofort den eigenen Fahrradgepäckträger freiräumen. Wie dieser Song sind auch andere Quasi-Klassiker wie „Rosaorange“, „Alles grau“, „Fahr weg“, „Antimaterie“ oder „Serotonin“ hervorragend gealtert und haben nichts von ihrer Emotionalität eingebüßt. Entweder fühlen die Akteure ihren Backkatalog also noch immer so wie im ersten Moment, oder sie haben inzwischen einen Grad an Professionalität und Schauspieltalent erreicht, der auf seine Weise dann ebenfalls irgendwie beachtlich, faszinierend und sehenswert wäre.
Viele Worte abseits der Songtexte wurden von den fünf Musikern an diesem Abend nicht verloren, Bamborschke versäumte es allerdings natürlich nicht, kurz darauf hinzuweisen, dass er einst in Köln geboren wurde und einige Lebensjahre in Lindenthal verbracht hat.
Neuere Titel wie „Ratte“ oder „Drugs“, bei denen es der Band gelungen ist, eine perfekte Mischung aus Selbstzitaten und frischen Ideen zu finden, fügten sich stimmig ins Gesamtbild ein und sorgten im Zusammenspiel mit dem bereits über Jahre hinweg bewährten Songmaterial für einen Konzertabend ohne Längen, der das begeisterte Publikum nicht erst bei der letzten Zugabe ganz tief in der Isolation Berlin versinken ließ.
Weitere Infos: https://www.isolationberlin.de/