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BANINE

Kaukasische Tage

(dtv, 319 S., 24,00 Euro)

Am Anfang des 20. Jahrhunderts bestimmen (auch) in Baku extreme Gegensätze das Leben. Da ist die noch halbmittelalterliche Welt der Gassen und Gänge, der Armen und Aussätzigen – aber auch eine durch Ölfunde im Handumdrehen zu extremem Reichtum gelangte Schicht. In letztere wurde 1905 die Autorin dieses autobiografischen Buchs hinein geboren: Umm-El-Banine Assadoulaeff ist die jüngste von vier Töchtern eines Ölbarons und wächst mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund auf. Und doch blickt schon das kleine Mädchen mit einer eigenartigen Distanz auf die zwischen islamischer Rigidität und arroganter Maßlosigkeit oszillierende Familie. Da ist die streng-muslimische Großmutter-Matriarchin und der eher westliche Vater, die älteren Schwestern (die natürlich immer mehr dürfen und wissen als "die Kleine") und die Macho-Cousins und – nicht zu vergessen – das aufopferungsvolle Kindermädchen Anna. Letztere steht als baltendeutsche Christin außerhalb aller Normen Bakus und fällt mit heller Haut und blondem Haar zwischen den – wie Banine sie beschreibt – "ausgesprochen orientalischen" Frauen der Familie ("braune Haut, schwarze Haare, nicht nur auf dem Kopf, (…) Hakennasen und zusammengewachsene Brauen") auch optisch aus dem Rahmen. Überhaupt wird die als rückständig und eng empfundene FamilenWelt wenig schmeichlerisch und voller sarkastischem Humor beschrieben: die Sippe lärmt manierenlos daher, frisst und lästert, flucht und schikaniert - beständig und überall. Die zweite, aus dem vergleichsweise weltoffenen Moskau angereiste Frau des Vater wird für die Heranwachsende ein unerreichbares, die sie umschwärmende Stieftochter kaum bemerkendes Idol. Die ganze exotische Idylle endet abrupt bei Ankunft der russischen Revolutionäre, die 1920 auch Baku übernehmen. Haus und Besitz sind weg, der Weg ins Exil (am besten nach Paris und idealerweise mit Teilen des Familienschmucks im Kleidersaum) ist kompliziert und lang. Aber für Banine kommt mit dem Roten Kommissar Masarin auch die erste wirkliche Liebe, dabei ist der in jeder Hinsicht Ungläubige als marxistischer Russe für eine etwaige Ehe völlig untragbar. Banine wagt die geplante Flucht aus dem Familienverband (noch) nicht und heiratet ihrem Vater zuliebe doch einen 20 Jahre älteren entfernten Verwandten, denn jener Jamil hat einen Freund, der dem Vater den ersehnten Reisepass zu verschaffen verspricht. Gut 20 Jahre nach all den aufregenden Ereignissen (das gerade Aufgezählte ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der großen Menge von Geschichten, Schicksalen und Umständen in diesem Buch) nennt sich das Mädchen selbstbewusst-bohemistisch nur noch Banine und hat ihren jämmerlichen Ehemann in Tiflis sitzen gelassen, um in Paris als Mannequin und Journalistin zu reüssieren. Die Essenz ihrer Jugenderinnerungen erschien 1946 unter dem Titel "Jours caucasiens" in Paris und 1949 auch auf Deutsch, das Vorwort dieser Ausgabe stammte damals von keinem Geringeren als von Ernst Jünger (dem Banine in Frankreich zu Bekannt-, ja Berühmtheit verholfen hatte). Die Neuübersetzung von Bettina Bach passt sich dem unkonventionellen Stil Banines an, die etwaiger Kritik souverän entgegen tritt: "soll doch komponieren, wer will, ich pfeife darauf!". Dabei ist dieser Ausflug in eine untergegangene und exotische (Geistes)Welt nicht nur spannend und interessant, sondern auch gut lesbar – hoffen wir, dass die 1947 geschriebene Fortsetzung "Jours parisiens" auch bald übersetzt und verlegt wird!
Weitere Infos: › www.dtv.de/buch/kaukasische-tage-28234


März 2022
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