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LUCY KRUGER & THE LOST BOYS

Die Autographie der Stimme

LUCY KRUGER & THE LOST BOYS

Als die südafrikanische Musikern Lucy Kruger den Entschluss fasste, nach Berlin zu ziehen, um von dort aus ihre musikalischen Bestrebungen besser koordinieren zu können, musste sie sich ja erst ein Mal in der neuen Umgebung zurecht finden und dann auch zu einer musikalischen Identität finden. Dies gelang ihr mittels dreier miteinander in Verbindung stehender Alben namens „Sleeping Tapes (For Some Girls)“, „Transit Tapes (For Women Who Move Furniture Around)“ und „Teen Tapes (For Performing Your Own Stunts)“. Wie sich nun herausstellt, waren diese Alben dann die notwendige Grundlage für ihr nun vorliegendes, fünftes Album „Heaving“, auf dem Lucy musikalisches wie inhaltliches und emotionales Neuland betritt. „Heaving“ ist Lucy's bisher ambitionierteste Arbeit, die sie von einer bewusst physikalisch ausgelegten Seite zeigt, der sie dann die Musik, die Inhalte und die Darbietung unterordnet.

Welche der vielen Bedeutungen des Begriffes „Heaving“ hatte Lucy denn als Titel ihres neuen Albums im Sinn? Vielleicht gar dieses Gefühl, dass man hat, wenn man sich übergeben muss?

„Also für den Albumtitel habe ich mich erst entschieden, als ich die Songs schon geschrieben hatte“, erklärt Lucy, „und nachdem der Begriff 'heaving' einige Male auf der Scheibe auftaucht, habe ich ihn als Titel genommen. Mir erschien das so, dass 'Heaving' einfach der Titel sein wollte. Es war ursprünglich gar keine bewusste Sache. Nachdem sich der Titel mir gegenüber aber so präsent zeigte, machte die Sache insofern Sinn für mich als dass dieser Begriff auch irgendwie eine physische Qualität hat. Es ist mehr so ein Gefühl als eine der konkreten Definitionen des Begriffes."

Wenn Lucy sagt, dass sie den Titel des Albums erst auswählte, nachdem sie die Songs fertig hatte. Was war denn der Plan bzw. das Ziel, als es ins Studio ging?

„Das begann alles mit dem Wunsch meine Stimme mehr in den Vordergrund zu stellen“, berichtet Lucy, „ich habe mich ein wenig damit beschäftigt, welche geschichtliche Bedeutung die weibliche Stimme hatte und was sie repräsentierte und wofür sie stand. Das habe ich dann einem pulsierenden Groove gegenübergestellt. Man kann auf diese Weise die Musik physischer erfassen und dann eine ganz andere Beziehung mit der Autobiographie der Stimme eingehen. Es geht um eine Übersetzung eines Gefühles. Das ist auch in der Geschichte enthalten – aber eben auch in der Körperlichkeit der Stimme. Ich verwende die Stimme also als Instrument – erzähle aber zugleich eine Geschichte. Das ist mir bei einigen Songs besser gelungen als bei anderen – die einen eher traditionelleren Ansatz verfolgen."

Am beeindruckendsten ist das Lucy wohl in dem Song „Howl“ gelungen, der ihre bislang exaltiersten, archaischsten und gutturalsten stimmlichen Verrenkungen enthält. Im Prinzip schreit sich Lucy hier nämlich schlicht die Seele aus dem Leibe – ganz im Sinne des „Aufstoßens“.

Subtiler geht es in Songs wie „Stereoscope“ zu. Hierbei handelt es sich um einen optischen Prozess, bei dem zwei unterschiedliche Bilder miteinander verwoben werden.

„Ein 'Stereoscope' ist ein 3D-Bildbetrachter“, klärt Lucy auf, „ein Freund hat mit das geschickt und ich habe das als Zugang zu der Idee verwendet, dass man aus zwei verschiedenen Perspektiven auf ein Bild schaut. Das ist aber schwer zu erklären, weil 'Stereoscope' einer der eher abstrakten Songs ist. Es geht dabei auch eher um sich überlappende Erinnerungen als um Bilder. Bei einem 'Stereoscope' geht es ja um zwei fast identische, aber doch leicht unterschiedliche Bilder, die dann den 3D-Effekt erzeugen. Das habe ich halt mit dem Song verdeutlichen wollte. Wie gesagt: Es ist schwer zu erklären."

Lucy hat ja immer schon den Anspruch gehabt, ihren Songs eine körperliche Note ins Spiel zu bringen. Auf ihrem Album „Transit Tapes“ brachte sie z.B. in mehreren Songs ihre Faszination des körperlichen Berührens zum Ausdruck. Das ist sicherlich auf „Heaving“ dann auch noch ein Mal ein großes Thema, oder?

„Definitiv“, bestätigt Lucy, „ich denke auch, dass das für den Rest meiner Laufbahn gelten wird. In meiner Musik geht es darum, Wege zu finden, mit anderen in Verbindung zu treten und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. Mit dieser Scheibe geht es um die Körperlichkeit dieses Prozesses – und die Berührung spielt dabei natürlich eine große Rolle. Es geht hier dann ja nicht um den intellektuellen Teil von Verbindungen."

Die „Tapes“-Alben sind ja am Ende zu einer Trilogie verwachsen. Wie sieht es denn mit „Heaving“ aus?

„Das Album wird alleine Bestand haben“, führt Lucy aus, „die letzten drei Alben dienten dazu, mich sanft aus der Tür hinauszustoßen – und 'Heaving' ist das erste Album, dass ich in diesem neuen Raum gemacht habe. Wohin die Reise von hier aus führen wird, bin ich mir zur Zeit noch nicht ganz sicher."

Heißt das denn vielleicht auch, dass Lucy – nachdem sie sich also sozusagen selbst aus der Tür hinausgestoßen hat - heutzutage mehr Spaß an ihrer nach wie vor düsteren Kunst hat?

„Ich denke schon“, lacht sie, „aber 'Spaß' ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich würde meinen Ansatz heute eher spielerisch nennen."

Aktuelles Album: Heaving (Unique Records) VÖ: 07.04.


Weitere Infos: https://lucykruger.bandcamp.com/ Foto: Lena Nerinckx

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