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CHUCK PROPHET

Appetit auf Musik

CHUCK PROPHET

Jahrzehntelang galt Chuck Prophet als verlässlicher Lieferant brillanter Projekte, die sich im Wesentlichen in der Schnittmenge zwischen Psychedelia/Paisley-Underground/Desert- und Roots-Rock abspielten. Dabei stellte sich der bis heute im kalifornischen San Francisco residierende Musiker immer wieder neu auf – zunächst mit seiner Band Green On Red in den 80ern, ab 1990 als Solo-Künstler und später mit seiner Band The Mission Express, zu der auch seine Ehefrau Stephanie Finch gehört. Daneben arbeitete Prophet auch als kreativer Kollaborateur und Produzent für Acts wie Kelly Willis, Penelope Houston, John Murry, Alejandro Escovedo, Warren Zevon oder The Rubinoos. Seine Songs wurden des weiteren von so unterschiedlichen Acts wie Bruce Springsteen, Solomon Burke oder Kim Carnes gecovert (um nur einige zu nennen) und sein letztes Studio Album „The Land That Time Forgot“, das 2020 mitten in der ausbrechenden Pandemie erschien und somit Prophet's übliches Release/Tour-Schema einschränkte, gehörte zu seinen stärksten Alben seiner bisherigen Laufbahn.

Als Chucks Fans in der auslaufenden Pandemie 2022 eigentlich auf ein neues Album des Meisters warteten, erreichte sie über Chucks Website die Schocknachricht, dass Chuck eine Krebsdiagnose erhalten habe und die zukünftigen Aktivitäten zunächst hintangestellt werden müssten. Wie sich später herausstellte handelte es sich dabei um eine behandelbare Form von Lymphdrüsenkrebs und inzwischen ist Chuck auch wieder auf dem Weg der Besserung. Im letzten Jahr konnten sogar die verschobenen Konzerte seiner Europa-Tour nachgeholt werden. Dort präsentierte sich Chuck – zwar sichtlich gekennzeichnet aber mit betont kämpferischer Note – in musikalischer Höchstform. Dass er zwischenzeitlich an einem neuen Album-Projekt arbeitete, verriet er damals noch gar nicht, aber nun liegt mit dem Album „Wake The Dead“ tatsächlich ein neues Chuck Prophet Album vor. Dazu tat sich Chuck mit der Cumbia Band ¿Qiensave? aus Salinas in Chuck's kalifornischer Nachbarschaft zusammen.

Wie kommt man denn in San Francisco an Cumbia-Musik heran? Bei uns läuft das ja alles über die Calexico/Xixa-Schiene?

„Oh – die kenne ich gut“, sagt Chuck, „Gabriel Sullivan und Brian Lopez sind wundervolle Menschen – und ich muss sagen, dass mich ihre YouTube-Videos inspiriert haben. Ich bin auch inspiriert von dem Projekt Twin Tones aus Mexico City mit dem ich schon zusammengearbeitet habe. Eine wichtige Informationsquelle für mich war auch KEXP-Radio, die in Mexico City solche Bands aufgenommen haben. Ich habe mich immer schon für Cumbia-Musik interessiert, aber in der Pandemie hatte ich ja viel Zeit, mich damit eingehender zu beschäftigen. Ich bin ja normalerweise ein Purist und Plattensammler, habe ich aber auch über viel dieser Musik online erfahren – auf YouTube und Streaming-Seiten. Das ist eben die moderne Welt."

Hat sich denn die Situation mit der Krebsdiagnose auf das Songwriting ausgewirkt? Zumindest der letzte Track „It's A Good Day To Be Alive“ scheint darauf hinzudeuten und verleiht der Scheibe eine lebensbejahende, positive Note.

„Ja - ich erinnere mich an die Phase, als ich die Diagnose bekam, sie aber noch nicht herausgefunden hatten, ob das behandelbar wäre“, beschreibt Chuck die Situation, „da hatte ich 14 Tage, in denen ich einfach warten musste. Meine Frau Stephanie fragte mich, was ich in der Zeit machen wollte – vielleicht zum Strand gehen und ein wenig im Wasser paddeln? Ich sagte dann: Ich denke, ich will in mein Büro gehen und Songs schreiben. Ich lud meinen Freund Kurt (Lipschutz) ein und wir saßen dann herum. Ich spielte dann auf der Gitarre die vermutlich älteste Akkordfolge in der Welt und wir schrieben dann einen Song namens 'One Lie For Me And One For You' – der offensichtlich von einer Beziehung handelt für mich aber eine ganz andere Bedeutung bekam. Das ist nämlich jetzt vermutlich mein Lieblingssong, denn als wir ihn schrieben brauchte ich für einen Moment nicht über irgend etwas anderes nachzudenken. Wenn ich heute diesen Song höre, dann holt er mich von wo immer ich gerade bin in diese Situation zurück.“

Das heißt dann also, dass Chuck sich mit Hilfe der Musik sozusagen selbst therapierte?

„Ja - Kurt hatte dann auch die Idee für den Song 'It's A Good Day To Be Alive'. Wir haben uns dann gefragt, was denn so gut an einem solchen Tag sein könnte und kamen dann zu dem Schluss, dass alles gut ist an einem Tag, an dem man am Leben ist. Das haben wir dann aufgelistet: Es ist ein guter Tag, um ein Puzzle zu lösen oder ein guter Tag, Deine Mutter anzurufen. Der Song hat sich dann sozusagen von selbst geschrieben. Das war dann auch ein guter Tag zum Songschreiben und für mich. Ich wusste schon, dass der unbedingt die Scheibe abschließen müsste.“

Auf jeden Fall ist das ja ein positiver Abschluss für die Scheibe. Worum geht es Chuck denn, wenn er solch persönliche Songs schreibt – und dabei dann auch universelle Erkenntnisse formuliert?

„Weißt Du: Das Ziel ist immer, etwas was kompliziert ist, auf eine einfache Art zu sagen“, beschreibt Chuck seinen Ansatz. Das ist immer das Ziel – und ich denke, das haben wir mit diesem Song auch erreicht.“

Das ist ja eine große Herausforderung, etwas kompliziertes zu vereinfachen, oder?

„Nun ein schlechter Songwriter mach etwas einfaches kompliziert und ein guter Songwriter macht etwas kompliziertes simpel – so ist das nun mal. Weißt Du wir sitzen hier zusammen und gerade ist Kris Kristoffersen verstorben. Daran heranzureichen, was er mit der Sprache und drei Akkorden erreichen konnte, ist dann immer die Herausforderung."

Denkt Chuck denn überhaupt in Kategorien wie „Herausforderung“ wenn es um die Musik geht?

„Nun ich denke, ich würde keine Musik machen, wenn ich mich vor Herausforderungen drücken würde“, überlegt er, „deswegen werde ich jetzt auch mit einer 6-köpfigen Band auf Tour gehen, die zuvor noch nie in Europa gewesen waren und die nicht die pünktlichsten Typen sind. Das wird mit Sicherheit eine Herausforderung werden."

Verwendet Chuck eigentlich immer noch diese Technik namens „Skywriting“ bei der er sich davon inspirieren lässt, in den Himmel zu schauen und assoziativ seine Gedanken festzuhalten?

„Ja – ich mache das immer noch. Ich denke, dass jeder Songwriter das irgendwie macht. Ich lasse mich von allen möglichen Dingen inspirieren. Auch von anderen Musikern. Ich höre schließlich die ganze Zeit irgendwelche Musik. Wenn ich im Auto sitze und Motown hören kann, bin ich glücklich. Setz mich in die Ecke und lege die Everly Brothers oder die Rolling Stones, The New York Dolls oder Loudon Wainwright oder irgendwas auf, dann genieße ich das. Ich habe einen gesunden Appetit auf Musik und das ist vermutlich ein Teil meines Könnens!"

Das kann durchaus bestätigt werden. Während unseres Gespräches greift Chuck ständig zur Gitarre um seine Aussagen musikalisch zu untermalen oder er greift ins Plattenregal um seine Kommentare zu untermauern. Chuck Prophet kann wohl gar nicht anders als ständig in Sounds und Songs zu denken. Und das soll nicht zu unserem Schaden sein, denn gleich im Anschluss an die Veröffentlichung des Albums geht Chuck – zusammen mit Musikern von ¿Qiensave? Und The Mission Express auf Tour.

Aktuelles Album: „Wake The Dead“ (Yep Roc Records) VÖ 25.10.


Weitere Infos: https://www.chuckprophet.com/ Foto: Kory Thibeault

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