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HEATHER WOODS BRODERICK

Die Kunst der Reduktion

HEATHER WOODS BRODERICK

Ganz egal, ob als versierte Multiinstrumentalistin an der Seite von Sharon Van Etten, Alela Diane, Lisa Hannigan und Efterklang oder auf ihren ersten vier Platten als wandlungsfähige Solistin: Heather Woods Broderick hatte immer schon ein Händchen dafür, das Beste aus schwierigen Situationen zu machen. Auch die Herausforderungen der Pandemie meisterte die 39-jährige Amerikanerin auf ihre Weise und nahm die Produktion ihrer neuen LP kurzerhand selbst in die Hand – mit überraschenden Ergebnissen: Auf ´Labyrinth´ tauscht sie mit bemerkenswerter Leichtigkeit den verschleierten Dream-Pop-Sound ihrer früheren Werke gegen eine betörende Melange aus Trip-Hop-Finesse, handgemachter Songkunst und Electro-Pop-Grandezza ein.

Mit ihrem neuen Album bugsiert Heather Woods Broderick ihren Sound in neue Richtungen, ohne dabei ihre eigene Vergangenheit zu vergessen. Den Anstoß dazu gaben ihr nicht zuletzt die Umstände der Pandemie, denn den Grundstein für ´Labyrinth´ legte sie allein in ihrem Heimstudio, bevor sie die Aufnahmen gemeinsam mit Co-Produzent D. James Goodwin, mit dem sie in der Vergangenheit mehrfach zusammengearbeitet hatte, fertigstellte. Die ersten Songs für die LP schrieb sie im Frühjahr und Sommer 2020. Mitten im Lockdown hatte sie nur eine kleine Auswahl an Instrumenten zur Verfügung und einen alten Studiocomputer – ein abgelegtes Modell ihres Bruders Peter. „Ich hatte nur begrenzte Werkzeuge und Kenntnisse, mit denen ich arbeiten konnte, aber viel Zeit, die ich isoliert mit Musik verbringen konnte“, erinnert sie sich im Westzeit-Interview. „Das ganze Projekt begann deshalb als eine Art tiefere Erforschung der Möglichkeiten von Aufnahme und Produktion.“



Die neue Herangehensweise änderte ein Stück weit auch ihren Fokus weg von ihrem Können als Multiinstrumentalistin hin zu stärker von produktionstechnischer Finesse geprägten Einflüssen.

„Wenn ich an frühere Platten zurückdenke, waren sie alle stark von dem Instrument angetrieben, das mich damals am meisten interessierte“, erklärt sie. „Dieses Mal hatte ich kein Klavier zur Verfügung und fühlte mich auch nicht zum Schreiben auf der Gitarre hingezogen. Ich habe einen ziemlich breiten Musikgeschmack, aber in den letzten Jahren habe ich mehr Hip-Hop, Trip-Hop und die Musik der späten 80er und frühen 90er gehört, mit der ich aufgewachsen bin. Ich mag die Klänge und Texturen in dieser Musik und die einfache, sich wiederholende Natur vieler Hip-Hop-Nummern. Ich denke allerdings nicht, dass sich meine Absicht beim Musikmachen verändert hat. Ich scheine mich mit jeder Platte auf das zu stützen, was mich inspiriert hat. Mein Interesse am Aufnehmen und Produzieren in Kombination mit der Musik, die mich beim Schreiben dieser Lieder beeinflusst, führte zu der kleinen klanglichen Verschiebung. Es war aufregend für mich, auf diese Weise tiefer in das Songschreiben einzutauchen."

Schon auf ´Domes´, ihrem letztjährigen Ambient-Instrumental-Album mit facettenreichen Cello-Loops und -Drones, hatte sich Broderick in der Kunst der Reduktion geübt und in Interviews den Wunsch geäußert, auch abseits der Musik nach mehr Klarheit zu streben. ´Labyrinth´ klingt nun, als habe sie diese Ideen auch auf den kreativen Prozess angewendet und dabei Gefallen am „Weniger ist mehr“-Ansatz gefunden.

„Ja, ich genieße heutzutage die Simplizität sehr, und ich habe das Gefühl, dass vieles, worauf wir heute Wert legen, lediglich Lärm ist, der uns weiter von unserem individuellen ‚Song‘ wegführt.“, sagt sie. „Ich habe festgestellt, dass mein Tun ziemlich reduziert ist, wenn ich mir selbst überlassen bin. Ich denke, es ist eine Kunst und Disziplin, die Dinge simpel zu halten, und meine Neigung zu diesem Sound, gepaart mit meinem begrenzten Wissen über Aufnahmesoftware, führte irgendwie zum Sound der Songs auf ´Labyrinth´."

Das Resultat ist ein Album, das man in dieser Form von Broderick nicht erwarten durfte. Mit ´Labyrinth´ öffnet sie die Tür zum Mainstream einen Spalt breit – im Info der Plattenfirma fällt sogar der Begriff „stadiontauglich“, und auch von „krachendem Arena-Schlagzeug“ ist dort die Rede.

„Ich finde diese Beschreibungen ziemlich lustig!“, gesteht Broderick lachend. „Es scheint wirklich, als würde diese Platte möglicherweise direkter für ein breiteres Publikum zugänglich sein als frühere Aufnahmen von mir. Das Rückgrat der Platte bilden simple Beats, Bässe und eine sich wiederholende Melodielinie. Die Natur dieser Art von Produktion deutet eher in Richtung des Pop-Genres, aber wenn ich ‚echte‘ Popmusik höre, merke ich, wie weit ich wirklich davon entfernt bin. Ich hatte dieses Mal allerdings den Wunsch, ein paar Songs mit einem schnelleren Tempo zu schreiben. Ich liebe Mid-Tempo-Musik, und dort fühle ich mich am wohlsten, aber es war eine gute Herausforderung, dieses Mal andere Wege zu gehen."

Das färbt auch auf die Texte ab, die verspielter als noch zuvor sind und tiefer in das Storytelling abtauchen, was Broderick nicht zuletzt darauf zurückführt, dass sie in der Ungewissheit des Lockdowns entstanden sind und nicht gezielt mit einer Veröffentlichung im Hinterkopf geschrieben worden sind. Ganz allgemein nutzt Broderick das Texten dazu, ihrer Umgebung einen Sinn zu geben. Eine ihrer wichtigsten Schlussfolgerungen ist dabei, dass die Zeit flüchtig ist und dass wir alle lieber versuchen sollten, das Beste daraus zu machen. Fraglos ein hehres Ansinnen, aber doch oft leichter gesagt als getan.

„Ja, absolut!“, stimmt Broderick zu. „Die Zeit vergeht so schnell. Ich musste daran arbeiten, Grenzen für mich festzulegen, und entscheiden, wieviel Zeit ich bereit bin zu verschenken. Natürlich müssen wir alle viel Zeit mit Arbeit verbringen, um in diesem Leben zurechtzukommen, aber abgesehen davon denke ich, dass es wichtig ist, unsere Energie für Dinge aufzuwenden, die uns das Gefühl geben, wertgeschätzt zu sein. Also versuche ich einfach, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die mich inspirieren und neugierig machen."

Apropos Inspiration: In der Vergangenheit hat Broderick des Öfteren erwähnt, wie der Vibe und die Landschaft ihrer langjährigen Heimat Oregon den Weg in ihre Musik gefunden haben. Inzwischen lebt sie seit einigen Jahren in Los Angeles, und ein wenig darf man das Gefühl haben, dass die komplett andere Atmosphäre der kalifornischen Metropole sich nun auch auf ´Labyrinth niedergeschlagen hat. „Definitiv“, bestätigt Broderick.

„Ich fühle mich immer noch sehr stark von meiner Umgebung beeinflusst. Los Angeles tauchte für mich in vielen Farben und Texturen auf, und diese Beschreibungen haben es definitiv in die Texte der Songs geschafft. Nachdem ich von der üppigen Schönheit der Küste von Oregon so inspiriert war, fragte ich mich, wie L.A. sich mir offenbaren würde. Es war keine Überraschung, dass es hier nicht viel Schönheit gibt, aber manchmal fühlt es sich sogar noch magischer an, sie inmitten dieser weitläufigen Stadtlandschaft zu finden."

Nicht zuletzt, weil ´Labyrinth´ in weiten Teilen daheim entstand, sei zum Schluss noch die Frage erlaubt, was „Zuhause“ für Broderick bedeutet.

„Ich liebe es, zu Hause zu sein“, verrät sie. „Ein Zuhause ist für mich wie ein Magnet – der Ort, an den ich mich zurückziehen kann. Ich mag es, einen Ort zu haben, an dem ich zur Ruhe kommen, arbeiten und mich ausruhen kann. Nachdem ich so viele Jahre auf Tour verbracht habe, genieße ich auch einfach die Routinen rund ums Daheimsein.“ Sie hält kurz inne und lacht. „Am wichtigsten ist jedoch: Zuhause ist dort, wo meine Katze ist!"

Aktuelles Album: Labyrinth (Western Vinyl / Cargo) VÖ 07.04.


Weitere Infos: › www.heatherwoodsbroderick.com Foto: Sophie Kuller

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