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MYNOLIA

Im Dazwischen zu Hause

MYNOLIA

Was für ein Traumstart: Auf ihrem fabelhaften Debütalbum ´All Things Heavy´ fesselt die derzeit in Berlin heimische Weltbürgerin Maja Presnell alias Mynolia mit sanft psychedelisch umspülten Klanglandschaften an der Schnittstelle von Dream-Pop und Indie-Folk, die befeuert von weitreichenden Einflüssen jenseits des Erwartbaren dunkel funkeln, während die von Kummer und Sarkasmus gleichermaßen getränkten Texte im Spannungsfeld von ungeschöntem Realismus und eskapistischer Unwirklichkeit mit klugen Gedanken Brücken bauen von einer introspektiven Sichtweise hin zu einer universellen Perspektive der dringlichen Probleme des Hier und Jetzt.

Mynolia ist gewissermaßen im Dazwischen zu Hause: Sie habe keine kulturelle oder nationale Identität, sagt sie von sich selbst, die Musik sei für sie deshalb so etwas wie ein Leuchtturm im Nebel. Aufgewachsen an verschiedenen entlegenen Ecken der Welt, führte sie ihr Weg von Neuseeland über Indien und Kanada nach Deutschland, wo sie seit einigen Jahren heimisch ist. Trotzdem prägt auch heute noch das Unterwegssein ihr Weltbild nachdrücklich – für unser Interview erwischen wir sie in einer mit allerhand Gitarren vollgestopften Blockhütte irgendwo im Nirgendwo von Arkansas und auch ein Trip nach Marokko ist für dieses Jahr bereits fest eingeplant. Kein Wunder also, dass Mynolia „Zuhause“ frei nach dem Motto „Home is where you’re happy“ eher mit dem Gefühl der Geborgenheit, in Gesellschaft der richtigen Menschen zu sein, denn als einen Ort mit vier Wänden definiert.

Zum Musikmachen kam Mynolia schon früh. Bereits im Kindesalter war sie kaum vom Klavier wegzubekommen, das ein Vormieter im Haus der Familie zurückgelassen hatte, bevor sie als Teenager zur Gitarre wechselte – und auch dabei ihre Anpassungsfähigkeit gefragt war.

„Als ich 13 war, besorgten mir meine Eltern eine Gitarre“, erinnert sie sich. „Meine Eltern wussten natürlich, dass ich Linkshänderin war, allerdings war ihnen der Unterschied zwischen Gitarren für Rechts- und Linkshänder nicht bewusst, und wenn du ein Instrument gebraucht kaufst, kannst du es nicht einfach zurückgeben. Also musste ich das Beste aus der Situation machen. Letztlich entpuppte sich das Ganze aber als großartiges Missgeschick, denn keine echte Identität, kein Zugehörigkeitsgefühl zu haben, ist kompliziert genug, dann aber auch noch linkshändig Gitarre zu spielen, macht es nur noch schlimmer. Jetzt kann ich mir zumindest an jedem Lagerfeuer problemlos die Gitarre schnappen.“

Die bemerkenswerte Selbstverständlichkeit, mit der Mynolia die Rolle der Außenseiterin als Stärke begreift, hallt auch auf ihrem fabelhaften LP-Debüt nach, das nach der digitalen Veröffentlichung im Dezember vor wenigen Tagen endlich auch auf Vinyl erschienen ist. Inhaltlich setzt sie in den besten Momenten auf ungeschminkte Emotionalität und eine Symbiose aus düsterer Verträumtheit und lyrischem Surrealismus, schlägt aber auch immer wieder den Bogen von der persönlichen zur globalen Betrachtungsweise. Statt allein in Schwermut zu baden, richtet sie ihr Aufmerksamkeit mit einem Augenzwinkern lieber auf die kleinen Absurditäten des Alltags, oder wie sie selbst es ausdrückt:

„Mir geht es um die feine Balance zwischen Offenheit und Mysterium. Es gefällt mir, wenn die Texte ehrlich, aber nicht kitschig und schwärmerisch sind, wenn sie mysteriös, aber nicht zu vage oder superabstrakt sind.“

Auch klanglich sucht sich Mynolia mit den Songs auf ´All Things Heavy´ ihren Weg stets ein Stück weit abseits des ausgetrampelten Pfades, wenn sie Inspiration aus Weltmusik schöpft und ihre Einflüsse von traditionellen Volkschören, östlicher Flötenmusik, Chorgesang und Oper in ihr Tun einflicht, ohne dass es sich wie ein Gimmick anfühlt. Vielleicht klingen ihre Songs deshalb frisch und neu und aufregend, gleichzeitig aber oft auch so vertraut, als hätten sie schon immer existiert. Ein wenig vermitteln ihre Lieder diesen besonderen Vibe, den auch Keith Richards im Sinn hatte, als er einst sagte, Songs seien wie Geschenke, die man erhält, wenn man seine Antennen ausfährt. Eine Sichtweise, der sich Mynolia problemlos anschließen kann:

„Ich denke, es ist ganz allgemein gut für Künstlerinnen und Künstler, nicht zu besitzergreifend zu sein, wenn es um ihr Tun geht. Letztlich ist es nur ein Rezept, das aus den Zutaten um sie herum besteht, die sie im Vorbeigehen aufsammeln. Manche Menschen sind dabei gewissermaßen poröser und nehmen viele verschiedene Einflüsse in sich auf, und manche haben dicke Mauern um sich herum und es köchelt nur in ihrem Innern vor sich hin, bis es dann irgendwann herausplatzt. Ich selbst bin in künstlerischer Hinsicht immer schon langsam gewesen. Es hat lange gedauert, bis ich mich dazu entschlossen habe, ein Album zu veröffentlichen, und dann hat sich plötzlich alles von selbst ergeben.“

In Zeiten, in denen immer mehr Künstlerinnen und Künstler spezifischen Zielen nachjagen und sich mit der Aussicht auf mehr Sichtbarkeit und Erfolg bereitwillig in Schubladen zwängen lassen, ist Mynolia damit eine wohltuende Ausnahme. Auch wenn ihre Musik natürlich nicht in einem Vakuum entsteht – mit ihrem melancholischen Indie-Pop streift sie die heitere Gelassenheit, mit der zuletzt Weyes Blood alte Tugenden des Laurel-Canyon-Folk für das Hier und Jetzt adaptierte, die wunderbar dezenten elektronischen Elemente atmen den Geist von Bat For Lashes oder Men I Trust –, scheint es für Mynolia die leichteste Übung zu sein, das Fehlen einer klaren Identität in ihren größten Trumpf zu verwandeln.

„Es wäre schön, wenn das so wäre, aber ich denke, ich habe in der Angelegenheit keine große Wahl“, sagt sie lachend. „Ich war oft am Rand der Musikszenen in verschiedenen Städten und in verschiedenen Kulturen unterwegs, ohne je richtig dazugehört zu haben, aber das hat mich dazu gebracht, mein eigenes Ding zu machen und zu hoffen, dass die Leute es mögen, auch wenn es nicht in eine bestimmte Schublade passt. Doch obwohl das Fehlen einer Struktur durchaus etwas für sich hat, heißt das nicht, dass ich mir nicht manchmal wünsche, dass ich sie hätte.“

Sie lacht. „Abgesehen davon passt meine Musik natürlich in alle möglichen Schubladen. Ich bin ja nicht Björk!“

Aktuelles Album: All Things Heavy (Bronzerat / PIAS / Rough Trade)


Weitere Infos: › www.mynolia.com Foto: Matthew Coleman


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