„Es geht mir um die Autonomie der Farbe“, formulierte Rolf-Gunter Dienst sein künstlerisches Credo. Immer wieder hat er es unterstrichen. Wer seine Bilder sieht, kann daran eigentlich keinen Zweifel hegen. Und doch ist da noch etwas anderes, ein eher verstecktes, aber für die Malerei genauso konstitutives Element.
Der 1942 geborene Künstler, der im März dieses Jahres in Baden-Baden gestorben ist, war der Meister des so genannten Kürzels. Die kleinen, immer ähnlichen Linienknäuel tauchen in allen Arbeiten Diensts auf. Meist muss man sich den gegenstandslos hermetischen Farbtableaus, in denen sich die Stimmungen des Künstlers manifestiert haben, bis auf kürzeste Distanz nähern. Erst dann erkennt man die in Linien und mit kalligrafischem Eifer angeordneten Kürzel. Wer genau hinsieht, weiß: Das ist nicht Steno, sondern Marathon.Scaramouche XIII, 2002, 200 x 960 cm (Ausschnitt), 3-teilig, Acryl auf Leinwand, Privatsammlung, © Ober-Berg-Dienst, Foto: Achim Kleuker, Berlin In den nicht selten mehrere Meter langen Bildern finden sich tausende dieser Kringel, akribisch genau nebeneinander gereiht. Der Effekt ist verblüffend. Tritt man wieder ein paar Schritte zurück, meint man, die Farben pulsieren zu sehen. Die Farbfelder werden rhythmisiert und geraten in leichtes Schwingen - als stünde man vor einer Op Art-Arbeit. Es ist ein Glücksfall, dass die monumentalen Bilder Rolf-Gunter Diensts jetzt in der Küppersmühle im Duisburger Innenhafen zu sehen sind. In den großen und schlichten White Cubes des Museums können die Werke mit ihrer Farbmacht protzen, ihre Sogwirkung auf die Betrachter entfalten und mit ihrer Rätselhaftigkeit für Verwirrung sorgen. „Mein Gedicht heißt Farbe“ lautet der einer Arbeit aus den künstlerischen Anfangstagen entliehene Titel der Retrospektive. Er lässt sich gut als Wegweiser in das Lebenswerk verstehen. Dienst, der die Vorbereitungen zur Ausstellung noch begleiten konnte, war nicht nur Maler, er hat zudem als Publizist sein Geld verdient, war Redakteur des Fachmagazins „Das Kunstwerk“, das in Baden-Baden verlegt wurde. Und er verfasste für FAZ und Süddeutsche Kunstkritiken. Er war auch ein Mann des Wortes, gebildet und belesen. Seine Bildtitel bringen das zum Ausdruck. Eine der ältesten Arbeiten heißt „William S. Burroughs – Exterminator VII.“ und zeigt 198 gereihte Kürzel auf rotem Grund. Mit der Beat Generation hatte sich Dienst ebenso beschäftigt wie mit seinerzeit aktuellen Kunstrichtungen wie dem Informel in Europa und dem Hard-Edge-Painting in den USA. Auffällig an den frühen Malereien ist, dass das Kürzel hier noch dominant im Vordergrund steht, während es in der weiteren Werkentwicklung zunehmend in den Hintergrund tritt, bis es schließlich unsichtbar zu sein scheint und sich ganz in den Dienst der Farbherrschaft stellt. Beispielhaft dafür sind die wie dunkle Stoffbahnen wirkenden Farbstreifen des „Epitaph für Cy Twombly“ (2011). Dem expressiven Chaos des Werkes des US-amerikanischen Künstlers begegnet Dienst mit streng komponierter serieller Ordnung. Die Kürzel, die die horizontale Struktur aufnehmen, wirken sozusagen aus dem Off. Gereihte Farbquadrate, monochrom schwarze oder weiße Leinwände und immer wieder klar voneinander abgesetzte Farbfelder. Da kommen dem Kunstfreund schnell Gerhard Richter, Ad Reinhardt, Robert Ryman oder Barnett Newman und Blinky Palermo in den Sinn. Doch sucht man in deren Werken die skripturalen Kürzel vergebens. Den stärksten Einfluss auf Rolf-Gunter Diensts 'geschriebene Malerei' scheint das minimalistische Werk von Agnes Martin mit seinen Gittern und Rastern gehabt zu haben, das noch vor Kurzem in Düsseldorf gewürdigt wurde (vgl. Veröffentlichung im BT vom 5. Januar 2016). Trotz des rätselhaften Titels könnte „Pamela-Boom-Boom Nr. 1“ (1971) ein Schlüsselwerk für den Einstieg in die Beschäftigung mit dem preisgekrönten Schaffen von Rolf-Gunter Dienst sein, der nie eine Kunstakademie besucht hat. Die hier noch gut sichtbaren Einschreibungen werden von drei schwarzen Balken gerahmt, die wie ein Tor wirken: Bitte eintreten in diesen gewaltigen wie geheimnisvollen Projektionsraum. Er ist offen für individuelle Wahrnehmungen und Empfindungen. Und er verweigere sich jeder diktatorischen Präsenz des zu Sehenden, wie es der Kunsthistoriker Max Imdahl einmal treffend ausgedrückt hat.
Rolf-Gunter Dienst (-18.09.) Museum Küppersmühle, Duisburg Tel. 0203 301948-11 www.museum-kueppersmuehle.de Katalog (Wienand Verlag) 29,00 Euro Außerdem zeigt auch die Galerie Utermann in Dortmund Werke von Rolf-Gunter Dienst (-27.08.) www.galerieutermann.de