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HONEYGLAZE

Es geht um die Musik

HONEYGLAZE

Die Frage, wer die spannendste neue britische Indie-Band des Jahres ist, lässt sich dieser Tage leicht beantworten: Honeyglaze heißt das unmöglich zu kategorisierende junge Trio aus dem Süden Londons, das auf seinem famosen selbstbetitelten Debütalbum nicht nur mit furchtlosem Stylehopping und gefühlvollem Storytelling beeindruckt, sondern dabei auch noch klingt, als gäbe es nichts Leichteres auf der Welt. Weil dabei individueller Ausdruck stets wichtiger ist als die bedingungslose Kompatibilität mit den Trends des Zeitgeistes, wird schnell deutlich: Es geht um die Musik.

Zufall, Schicksal, glückliche Fügungen – die Bandgeschichte von Honeyglaze ist schon nach weniger als drei kurzen Jahren voll davon. Gegründet kurz vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie, fand das Trio zusammen, als sich Sängerin und Gitarristin Anouska Sokolow für einen der ersten Auftritte ihres frischen Soloprojekts nicht in gängige Singer/Songwriter-Klischees fügen und statt allein lieber mit Band auftreten wollte. Weniger als eine Woche später stand sie mit Bassist Tim Curtis und Schlagzeuger Yuri Shibuichi auf der Bühne, und schon bald danach war klar, dass daraus mehr werden musste als ein einmaliges Erlebnis.

Kurz danach verhinderte der Pandemie-Lockdown weitere Live-Konzerte, aber selbst davon ließen sich Honeyglaze nicht aufhalten. Von ihrer YouTube-Live-Session für das FarmFest 2020 war der betont geschmackssichere Produzent und Labelchef Dan Carey so begeistert, dass er das Trio kurzerhand in seine Speedy-Wunderground-Familie holte und ihnen den Weg für ihr Debütalbum ebnete. Dass die Band deshalb gar nicht viel Zeit hatte, Pläne zu schmieden oder vagen Vorstellungen von Perfektion nachzujagen, und sich stattdessen ganz auf ihre Intuition verlassen musste, ist der heimliche Trumpf der LP, die ehrlich und direkt ohne große Gimmicks auskommt, dafür aber mit viel Persönlichkeit glänzt.

„Die Platte ist letztlich nichts anderes als das komplette Set eines unserer Konzerte“, verrät Anouska beim Videocall mit der Westzeit. „Nachdem Dan den ersten Auftritt von uns gesehen hatte, sagte er uns, dass er genau das auf Platte festhalten möchte."

Eingespielt haben Honeyglaze ihr Debüt deshalb innerhalb von nur drei Tagen und brauchten dabei praktisch nie mehr als zwei oder drei Takes. Mehr noch: Um dem Konzertfeeling auch im Studio möglichst nahezukommen, spielten sie stets drei Songs am Stück, anstatt sie einzeln anzugehen. Bei Nummern wie ´Star´, ´Burglar´ oder ´Half Past´ sprüht die Band deshalb nur so vor grungiger Energie, die Carey herrlich rau und ungefiltert eingefangen hat, ohne dabei zu vergessen, dass Honeyglaze auch auf poppigerem Terrain eine Wucht sind, etwa, wenn bei ´Shadows´ Teenage-Angst-Poesie und Jangle-Pop in klassische Postpunk-Bahnen gelenkt werden oder bei ´Souvenir´ Indie-Pop-Melancholie durchscheint.

Textlich sind in die Lieder derweil mitten aus Anouskas Leben gegriffen, ohne bei banaler Tagebuch-Lyrik zu verharren, wenn sie von Eifersucht und Unzulänglichkeit, toxischen Beziehungen oder einfach nur vom Geruch von Kaffee auf der Kleidung singt. So nimmt sie in ´Female Lead´ rassistische als auch antifeministische Klischees mit einem Augenzwinkern aufs Korn, und auch bei ´Creative Jealousy´, einem Lied über die Unfähigkeit, Lieder schreiben zu können, blitzt ihr Faible für schrägen Humor auf, während sie ihrer Frustration freien Lauf lässt.

„Beim Schreiben ist mir wichtig, dass es sich echt anfühlt, dass es in mir selbst eine emotionale Reaktion auslöst, wenn ich etwas singe oder spiele“, erklärt sie. „Oft schreibe ich mir meine Ideen nicht auf, und wenn ich mich später noch daran erinnern kann, dann weiß ich, dass ich Spaß daran hatte, das zu singen, das zu spielen."

Tatsächlich gehen Anouska, Tim und Yuri auf ihrem Erstling oft geradezu verschwenderisch mit ihren Ideen um und zeigen stilistisch nicht nur keinerlei Berührungsängste, sondern sind trotz ihrer jungen Jahre schon richtig tief in die Musikhistorie eingetaucht.

„Wir sind sehr neugierige Menschen – ganz abgesehen davon, dass wir einfach total auf Musik stehen“, sagt Yuri, und Tim ergänzt: „Wir sind echte Nerds, in der Hinsicht, dass ein Nerd jemand ist, der alles bis ins kleinste Detail wissen und lernen will. Das ist etwas, das auf uns alle zutrifft."

Ob ihrer breit gefächerten, aber spürbar unterschiedlichen Einflüsse nähern sich Honeyglaze ihren Liedern ohne klare Vision, ohne gemeinsame Referenzpunkte, verstehen sich aber dennoch als Demokratie, in der Tim und Yuri weit mehr als nur die Juniorpartner der Sängerin und Gitarristin sind, wenn sich beim gemeinsamen Jammen magische Momente herauskristallisieren.

„Ich bin allerdings froh, dass wir nur zu dritt sind“, gesteht Anouska und muss lachen. „Wenn noch mehr Leute ihre individuellen Einflüsse einbringen wollten, würde es vermutlich ziemlich hektisch!"

Aktuelles Album: Honeyglaze (Speedy Wunderground / PIAS / Rough Trade)


Weitere Infos: › www.facebook.com/honeyglazemusic/ Foto: Holly Whitaker

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