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ANNA B SAVAGE

Keine normalen Songs

ANNA B SAVAGE

Der Londoner Songwriterin Anna B. Savage gelingt mit ihrem Debüt-Album „A Common Turn“ etwas sehr Ungewöhnliches: Abseits von Trends und Moden schafft sie es nämlich – mit der Unterstützung von Produzent William Doyle – musikalisch, klanglich, inhaltlich und strukturell dem ausgelutschten Indie-Songwriter-Genre zugleich durchaus eigene, neue Aspekte abzugewinnen und sich andererseits auf zeitlose, klassische Traditionen zu berufen. Auch wenn es andere sind, als zu vermuten stünde, denn auch wenn es weitestgehend ruhig und meditativ zugeht: als Folkie versteht sich Anna – die ihre Songs allesamt auf der elektrischen Gitarre schrieb – keineswegs. Freilich ist sie auch keine Rockmusikerin – selbst dann nicht, wenn es mal abrasiv und druckvoll zugeht. Und ihr (bislang vergebliches) Bemühen, ihrer Meinung nach ganz konventionelle Songs zu schreiben, zeitigt eine letztlich ganz eigene Ästhetik.

Was sich hier nach Masterplan, Übersicht und souveränem Kalkül anhört, manifestiert sich dann bei näherem Hinhören dann aber vielmehr als sie Suche einer nachdenklichen, schwermütigen Person nach der eigenen Seele. Und diese Suche führt dann tendenziell eher zu Fragen, als zu Antworten. Ihre Texte erscheinen dabei als eine Aneinanderreihung von Bildern, Aphorismen, Erinnerungen, Beobachtungen und Gedanken.
Wo ist denn für Anna der verbindende rote Faden zu sehen, der diese verschiedenen Elemente dann schließlich zusammenhält und zu einem Thema macht?

"Da bin ich mir gar nicht so sicher“, überlegt Anna, „ich denke, es ist eine emotionale Reaktion auf meine Gedanken. Manchmal schreibe ich Sachen und fühle einfach, dass bestimmte Elemente nebeneinander stehen sollten. Für mich ist das wie ein Mosaik. Ich würde ja gerne auch Puzzle sagen – aber da wäre die Passgenauigkeit dann zu perfekt. Für mich geht es darum, Elemente nebeneinander anzuordnen, und dann eine Bedeutung darin zu suchen.“

Oder eben Fragen zu stellen?

„Das ist so eine Sache mit den Fragen“, zögert Anna, „denn ich selbst weißt oft gar nicht, wie alles zusammenpasst. Etwas sagt mir aber, dass es so sein müsse. Deswegen stelle ich mir selbst ständig Fragen auf der Suche nach der Wahrheit.“

Was betrachtet denn jemand, der so arbeitet wie Anna B. Savage, als größte Herausforderung beim Schreiben von Songs?

„Ich denke, meine größte Herausforderung ist, mir gegenüber ehrlich zu sein“, überlegt Anna, „was vermutlich dazu führt, dass ich Sachen schreibe, die nicht besonders bedeutend sind und eine Menge Fragen aufwerfen. Ich bin nicht besonders selbstbewusst. Hymnische Refrains zu schreiben, die Fragen beantworten anstatt sie zu stellen, ist nicht so mein Ding. Die allergrößte Herausforderung in diesem Sinne ist es, meinen geringes Selbstwertgefühl zu überwinden und mir klar zu machen, dass alles in Ordnung mit mir selbst ist. Ich muss also konstant weiter schreiben – auch weil ich mich mit diversen Tiefpunkten auseinandersetzen musste.“

Deswegen schreiben ja viele Musiker ihre Songs – um sie als Therapie zu verwenden und sich selbst am eigenen Schopf aus den besagten Tiefpunkten herausziehen zu können.

„Ja, aber ich kann zum Beispiel gar nicht gut schreiben, wenn ich an einem Tiefpunkt angelangt bin“, verrät Anna, „mir ist schon klar, dass es da dieses romantisierte Klischee von diesen Künstlern gibt, die schreiben, wenn es ihnen schlecht geht, um sich besser zu fühlen – und nicht ein mal das kann ich. Es ist für mich also eine Herausforderung, mich selbst an den Punkt zu bringen, an dem ich überhaupt schreiben kann.“

Ist es dann nicht auch genau das, worüber Anna singt? Sich selbst zu finden, Widerstände und Tiefpunkte zu überwinden, nach Heilung zu suchen?

„Ja, ganz bestimmt“, bestätigt sie, „es ist wie eine Art Dokumentation dieser Seinszustände – und manchmal der gedanklichen Fallen, in denen ich mich verfange und nicht mehr herausfinde. Ich dokumentiere in meinen Songs diese Reise.“

Anna's Songs strotzen dabei geradezu vor Bildern, Details, kulturellen Referenzen oder sogar Namen und Orten. Das verleiht ihren Songs eine gewisse visuelle Wirkung, die sich sicherlich auch in ihren Videos niederschlägt. Ist das Teil des Konzeptes?

„Tatsächlich nicht“, widerspricht sie, „ich stelle aber oft fest, dass – wenn ich einen Song geschrieben habe – ich selbst eine Art Visualisierung erfahre; aber erst im Nachhinein. Es ist schön, dass Du die Videos erwähnst, denn ich denke, dass diese – zusammen mit der Musik – eine Art Gesamt-Erlebnis darstellen. Ich selbst schaue mir gar nicht so viele Musikvideos an, aber welche selber zu machen, gehört zu den bevorzugten Aspekten meines Tuns. Es fühlt sich nämlich sehr befriedigend an, so zu der Welt, die ich eh schon erschaffen habe, noch etwas hinzufügen zu können.“

Auf jeden Fall ist es so, dass man Anna B. Savages Musik besser verstehen kann, wenn man sie dabei beobachtet, wie sie diese präsentiert – was einen wesentlichen Bestandteil ihrer Videos darstellt.

„Das kann sein“, überlegt Anna, „ich denke schon, dass meine Art zu performen ziemlich körperlich ist. Ich bin schon gefragt worden, ob ich das absichtlich so mache – aber dem ist tatsächlich nicht so. Ich verzerre zum Beispiel mein Gesicht ziemlich, wenn ich singe – das mache ich aber unbewusst.“

Die Musik hat Anna ja zusammen mit dem Produzenten William Doyle produziert. Wie kam es denn zu dieser Zusammenarbeit?

„Ich wusste, dass ich mit diesem Album klanglich zwei Welten zusammenführen wollte“, erinnert sich Anna, „zum einen wollte ich, dass es warm und menschlich klingen sollte – zum anderen wollte ich aber auch eine elektrische, mechanische, künstliche Ebene haben. Mit meiner Gitarre und meiner Stimme hatte ich die warme Seite ja bereits abgedeckt. Ich musste also jemanden finden, der sich mit Elektronik und Produktion auskannte. Ich startete dann einen Aufruf auf Instagram und 25 Sekunden später wusste ich dann, dass William – den ich zwar zuvor noch nicht getroffen hatte, aber als Fan auf Instagram folgte - der richtige Mann war. Ich habe ihm dann über das Web Demos geschickt und wir haben uns dann intensiv per Emails darüber unterhalten und uns schließlich geeinigt, zusammenzuarbeiten. Ich weiß gar nicht, wie er es gemacht hat, aber er hat dann meine vagen Ideen produktionstechnisch perfekt konkretisiert.“

Das ist zweifelsohne gut gelungen – wobei aber gar nicht die produktionstechnischen, sondern vielmehr die kommunikativen, emotionalen Aspekte im Vordergrund stehen. Woher rührt denn das?

„Nun, unser Plan war es, ins Studio zu gehen und einen Tag an einem Song zu arbeiten und diesen so weit wie möglich fertigzustellen“, erinnert sich Anna, „das deshalb, weil wir nur an bestimmten Tagen ins Studio konnten. Das hat viel Spaß gemacht, denn manchmal hatte William schon an den Songs gearbeitet als ich ins Studio kam und irgendwelche Drones oder Elektronik hinzugefügt. Das hat mir gut gefallen. Der ganze Prozess war dann tatsächlich wie eine fortlaufende Unterhaltung zwischen uns.“

Was man der Musik dann auch anhört, denn Annas Songs klingen tatsächlich des öfteren wie Konversationen mit einem – nicht immer genau umrissenen – Gegenüber, und manchmal eben auch mit sich selbst.
Mal so gesehen: Erhebt Anna B. Savage vielleicht sogar den Anspruch, etwas versuchen zu wollen, was vorher noch nicht gemacht worden ist?

„Überhaupt nicht“, schmunzelt Anna, „ich versuche sogar immer, ganz normale Songs zu schreiben. Und dann mache ich das - und meine sogar, es geschafft zu haben – bis mir wieder jemand sagt, wie seltsam das eigentlich sei, was ich mache. Das ist ja irgendwie schon toll und spannend – ich frage mich aber schon, ob es mir tatsächlich irgendwann ein mal gelingt, einen 'normalen' Song zu schreiben.“

Aktuelles Album: A Common Turn (City Slang)


Weitere Infos: https://www.facebook.com/AnnaBSavage https://annabsavage.com/ Foto: Ebru Yildiz

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