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MOTRIP

Spiel ohne Grenzen!

MOTRIP

Gegensätze ziehen sich an – das war schon immer so. Egal, ob Wirtschaftsbosse Kriminelle anziehen, Frauen Männer an- oder ausziehen, oder ob Rapper ausziehen, um den Himmel voller Geigen hängen zu lassen... Spiel ohne Grenzen, Krieg ohne Tränen.

In unserem Fall traf Rapper MoTrip auf den Komponisten Jimek. MoTrip ist ein im Libanon geborener Aachener. Nach dem Debüt ´Embryo´ (2012) machte sein Gold Album ´Mama´ (2015) den 28-jährigen binnen kürzester Zeit von der Hip-Hop-Hoffnung zu einem geachteten Rapper. Der Pole Jimek stammt aus Warschau. Er hat das 78köpfige Konzerthausorchester Berlin an seine musikalischen Grenzen gebracht. Was unterscheidet Klassik und Rap?

MoTrip: „Die vielen Worte, die Rap mit sich bringt und die wenigen Worte, die in der Regel Klassik aufbietet. Die Gemeinsamkeiten liegen in der Herangehensweise. Ob du das nun mit Worten oder Musik machst, du transportierst ein Gefühl. Das kannst du auch ohne Worte, das kannst du auch mit Instrumenten. Ich glaube, dieses Gehört werden, dieses Etwas finden, wo man leuchten kann, ob es ein Instrument ist, ob es ein Fußball ist oder halt Rappen, das sucht jeder. Es ist schön, es zu finden, egal, auf welcher Ebene. Ich glaube, da haben die klassische Musik und Rap einen gemeinsamen Nenner. Weil wir am Ende alle unser Innerstes nach außen tragen, gehört werden wollen.“

Da liegt die zweite Frage gleich auf der Zunge: Hat MoTrip sich für klassische Musik interessiert, bevor er Jimek kennenlernte?

MoTrip: „Klassische Musik war vorher nicht so wirklich meine Lieblingsmusik, sondern ich hatte ganz banale Zugänge. Mein Handyklingelton auf dem Nokia war Beethoven. Wenn man Champions League guckt, dann hört man Händel oder so was. Ich kannte Vivaldi z. B. nur vom Namen, Beethoven nur vom Namen, die berühmtesten Stücke vielleicht gerade so vom Namen. Ich kenne mich mit der Materie nicht wirklich aus. Ich habe mich durch das Projekt, das wir an den Start gebracht haben, viel intensiver damit beschäftigt. Natürlich lief auch im Auto mal der Klassiksender im Radio, aber jetzt läuft der auch mal eine halbe Stunde am Stück, und ich genieße das. Ich habe wirklich neue Facetten entdeckt, einen neuen Horizont damit erobert.“

Als die 78 Musiker des Berliner Konzerthausorchesters im September 2016 mit ihren Instrumenten bewaffnet die Bühne im Konzerthaus betraten, wurde die musikalische Opulenz des Abends endlich wahrnehmbar. ´Crux´, von Jimek komponiert, eröffnete den musikalischen Reigen. Anschließend folgte die Begrüßung der Konzertgäste durch MoTrip mit ´David gegen Goliath´ im neuen musikalischen Gewand. Welche Gemeinsamkeit verbindet MoTrip und Jimek?

MoTrip: „Wir waren uns einig, wir wollen die beste Idee finden. Das ist oft ein weiter Weg mit Fehlversuchen, viel Scheitern, um dann ans Ziel zu kommen. Ich bin auch so in meinen Texten, ich fange beim letzten Wort an und weiß dann, ´ok, so ungefähr muss der Anfang werden´. Aber ich brauche irgendwie Zeit, bis es so ist. Ich glaube, dieses Perfektionist-Sein verbindet uns. Auch das Musikmachen an sich, soweit auch Klassik von HipHop entfernt wirkt. Wir haben eine ähnliche Herangehensweise. Wir gehen ins Studio, machen Musik und kommen erst raus, wenn wir etwas haben, was uns glücklich macht. Das verbindet uns.“

Mit MoTrip und Jimek fanden zwei Einzelkämpfer zusammen, um gemeinsam mit einem Konzerthausorchester eine große Bühne zu betreten und etwas Neues zu erschaffen.

MoTrip: „Am Abend des Auftritts hat mich das Publikum sehr begeistert. Ich war relativ skeptisch. Wir haben versucht, ein Klassik-Publikum und ein Rap-Publikum anzusprechen. Wussten selber nicht genau, wer wird kommen, wer interessiert sich dafür? Ich wusste, da werden Menschen sein, aber wer sind diese Menschen? Wie sehr wirst du sie dafür begeistern können? Ich habe selten oder nie solche Standing Ovations erlebt, so viel Energie, die zurückkommt vom Publikum. Man schreit immer viel rein, und es kommt auch gelegentlich etwas zurück. Aber dass man das Gefühl hat, den ganzen Abend ist die Energie im Raum greifbar, das war sehr schön für mich. Ich bedanke mich wirklich beim ganzen Publikum, das einfach diesen Abend so unvergesslich gemacht hat.“

Jede Punchline war bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Die ausgeklügelten Beats changierten zwischen Oldschool und Futurismus. Ausgewählte Titel beider MoTrip-Alben wurden mit der Lässigkeit zweier Perfektionisten radikal für das Orchester umarrangiert, ohne sich zwischen Straßen- und Hochkultur aufzureiben. Zur Krönung dieser exklusiven Veranstaltung beehrte auch Haftbefehl, stilecht in Samt-Jogginghose und Sonnenbrille, die Bühne, und zelebrierte herzerwärmenden Punchlines über seine Mama. Mit weniger Attitüde, dafür mit Halskrause nach (s)einem Poolunfall, feuerte Adel Tawil ´Polarlichter´ auf die Bühne. Die Herzen jedoch verzauberte Lary. Ihre wunderschöne Stimme wurde eins mit dem Orchester. Ihre Wesenheit brachte einige Augen zum Funkeln... Wer dieses Event akustisch bzw. visuell nacherleben möchte, kann die Töne des Events nun via Doppel-LP/CD nachhören, bzw. mit den dazugehörigen Bildern auf DVD genießen.

Aktuelles Album: Mosaik - MoTrip Orchestrated by Jimek (Universal / Urban / Deutsche Grammophon) VÖ: 02.12.

Foto: Sascha Haubold

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