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GORILLAZ

Wilde Affen

GORILLAZ

Als sich 1998 der Zeichenstift von Tank Girl-Erfinder Jamie Hewlett mit dem des Notenhälse und -bäuche produzierenden Damon Albarn, Sänger der britischen Gruppe Blur und Mit-Erfinder des Britpop zusammentun, stehen am Ende dieser Liaison Gorillaz. Eine virtuelle Band im eindimensionalen Comicformat. Wie kommt man nur auf solch eine Idee? Ganz einfach, dazu man muss nur Musikfernsehen schauen. Das tun die beiden in ihrer Londoner Wohngemeinschaft und ärgerten sich gemeinsam grün und blau darüber, dass die über die Gleichförmigkeit der zeitgenössischen Pop- und Rockszene und über die Austauschbarkeit der dazugehörigen herumhampelnden Bühnenfiguren.

„Zu lange MTV zu schauen ist ein wenig wie die Hölle“, lässt sich Jamie Hewlett später gern zitieren, „da gibt es nichts mit Substanz. Dadurch hatten wir diese Idee von einer Cartoon-Band, die diese Substanzlosigkeit kommentiert.“ Wenn schon alle Figuren des Business wie Klone erscheinen, warum dann nicht gleich eine nicht reale, rein virtuelle Truppe ins rennen schicken? Eine Idee mit Zukunft? Ob es damals jemanden gab, der auch nur einen Pfifferling auf deren Erfolg gewettet hätte, ist nicht verbürgt. Jedenfalls hätte er nicht nur diesen Pfifferling, sondern seine gesamte Pfifferlingszucht gleich mit verloren; denn die Plattenverkäufe erreichen inzwischen Zahlen in zweistelliger Millionenhöhe.



Zeichenstift und Notenhals

2001 steht das Debüt-Album mit dem veritablen Hit „Clint Eastwood“ in den Läden. Zehn Jahre sind also rum. Grund genug, zurückzuschauen und sich selber zu feiern, etwa mit einer Platte, die Singles aus dieser Dekade versammelt und natürlich ist auch „Clint Eastwood“ darauf zu finden. Pur und als Ed Case & Sweetie Irie Remix. Doch was sind das eigentlich für Figuren, diese vier hibbeligen Gorillaz? Da gibt es den Punk Stuart Tusspot, der mit dem blauen Haarschopf. Auf der Bühne heißt er nur 2D und hat dort, wo andere ein Gehirn haben, angeblich nur ein leeres Blatt Papier. Er singt und schafft dabei locker den Spagat zwischen Bariton und Falsettsopran. Auch mit den schwarz-weißen Tasten eines Klaviers und denen der Melodika ist er mehr als vertraut. Gruppenältester und selbsternannter Anführer ist der 45jährige Bassist und Bediener des Drumcomputers Murdoc Faust Niccals, ein langer, dünner und wie ein Schlot qualmender Altrocker mit Metalvergangenheit, der gerne auch mal seinen Viersaiter in The Who-Manier zerlegt. Die Japanerin Noodle ist mit gerade 21 Jahren das Nesthäkchen. Obwohl auch 2D und Murdoc fit an der Gitarre sind, überlassen sie diesen Part Noodle. Ab und zu darf sie auch ans Gesangsmikrofon. Der sanfte HipHop-Hüne Russel Hobbs am Schlagzeug komplettiert das virtuelle Quartett. Manches Mal hält es ihn einfach nicht auf seinem Schlagzeugthron, dann springt er auf und lässt eine Rap-Attacke vom Stapel, die sich gewaschen hat.

Der Singlehit „Clint Eastwood“ legt davon ein beredtes Zeugnis ab.



Virtuell und punktuell

Eine so geartete Band hat Vorteile ohne Ende. Ganz nach Belieben kann das musikalische Genre wechseln. Der Viererpack wird hervorgeholt, wenn er gebraucht wird und was zu sagen hat. Wenn nicht, verschwindet er in der Versenkung. Das führt dann auch nur zu vier Platten in diesen zehn Jahren. Aber was kommt eigentlich heraus, wenn Comicfiguren Musik machen? Rückschauend haben sie ihre Klänge gespickt mit allen Stilrichtungen, welche die Popkultur jemals hervorgebracht hat. Das könnte auch beliebig oder zerfasert sein, doch kommt es in solchen Zusammenhängen nicht immer darauf an, wer die Hand führt? Und da sind von Beginn an echte Koryphäen im Spiel. Allen voran erstmal der bereits genannte Damon Albarn, der 2D seine Stimme leiht. Auf dem Debütalbum sind daneben beispielsweise noch Miho Hatori, Del Tha Funkee Homosapien, Tina Weymouth, Chris Frantz oder Ibrahim Ferrer zu hören. Neben dem Singlehit haben es vom „Gorillaz“ betitelten Debüt noch „19-2000“, (zusätzlich auch noch als Soulchild-Remix), „Rock The House“ und „Tomorrow Comes Today“ auf die Singles-Zusammenstellung geschafft.

Die zweite Platte „Demon Days“ ist erneut randvoll mit einem wild gegen den Strich gebürsteten Musikquerschnitt, der von Hip Hop bis Sakral-Singsang reicht. Und jede Menge Gastkünstler hats auch wieder. Darunter die Hip-Hop Legenden De La Soul, The Verve-Gitarrist Simon Tong, Ike Turner, Neneh Cherry und Scharen von Streichern. Einer aber, der muss besonders hervorgehoben werden, der Filmbösewicht Dennis Hopper, der ein dunkles Märchen vorträgt. Gleich fünf Kompositionen von „Demon Days“ finden sich auf der Hit-Kollektion: „Feel Good Inc.“, „DARE“, „Dirty Harry“, „Kids With Guns“ und „El Mañana.“



Der Vorhang fällt

Die Schwierigkeit, die eindimensionale Comic-Welt in echtes, dreidimensionales Bühnengeschehen zu überführen, wurde bislang meist mit Konzerten gemeistert, bei denen die realen Musiker hinter einem Vorhang spielten, auf dem die lustigen Figuren als animierte Comics oder als Hologramme auftauchten. Diese Zeiten sind seit „Plastic Beach“, dem dritten Album vorbei. Der Vorhang ist gefallen. Er hat eine Bühne freigelegt, auf der Gorillaz wieder zu Trickfilmhelden auf der Leinwand werden und dabei auf ein munteres Völkchen von acht Bläsern, scharenweise Streichern und eine ganz normale Rockbesetzung blicken. Deren musikalisches Spektrum reicht von HipHop über Dub und Elektronischem bis hin zu Klängen aus dem Libanon. So verpasst etwa Bobby Womack dem Ganzen eine ordentliche Soulspritze, Mos Def hingegen ist für die Rap-Reime zuständig. Die originären Melodien aus dem nahen Osten verkörpert das National Orchestra For Arabic Music. Mit von der Partie sind auch die beiden Ex-The Clash’ler Mick Jones und Paul Simonon. Auch hier wird gesiebt und die Gewinner, die auf der Singles Sammlung zu hören sind, heißen „Stylo“, „Superfast Jellyfish“ und „On Melancholy Hill.“ Ein weiteres auf der Compilation befindliches Stück, „Doncamatic" ist nur als Single beziehungsweise auf der Wiederveröffentlichung von „Plastic Beach“ zu finden. Die insgesamt 15 ausgewählten Lieder zeigen, dass Gorillaz nicht nur jegliche Grenzen der modernen Musikhistorie ignorieren, sie reißen sie schlichtweg nieder. So muss Popmusik heute klingen.

Aktuelles Album: The Singles Collection 2001-2011 (Parlophone /EMI)

Foto: Jamie Hewlett

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