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HERE WE GO MAGIC

Die Suche nach Unvollkommenheit

HERE WE GO MAGIC

Here We Go Magic setzen ihre unglaubliche Reise durch die verschiedenen Epochen und Genres der Musikhistorie fort. Auch auf ihrem neuen Album ´Be Small´ lassen sich die New Yorker Luke Temple und Michael Bloch nicht festnageln und geben ihren farbenfrohen Electro-Indiepop-Collagen viel Raum, in alle möglichen Richtungen auszufransen. Dennoch geht es den Amerikanern dieses Mal auch um eine Reduktion, um eine Konzentration auf intimere Soundlandschaften.

„Die Platte heißt ´Be Small´, weil wir in einer Zeit leben, in der man ständig eingetrichtert bekommt, dass größer immer auch besser ist“, sagt Luke Temple beim Pressestopp in Berlin über den inhaltlichen Leitfaden des neuen Werkes. „Man soll stärker sein, länger leben, mehr Geld haben, sich eine hübschere Frau suchen, ein größeres Auto fahren. Das wird letztlich unser Ende sein. Ich habe versucht mir vorstellen, wie es wäre, wenn wir in einer Kultur der Zurückhaltung leben würden, in der ´Be small´ das Motto wäre. Der Song ´Stella´ zum Beispiel handelt von einer Freundin, die depressiv wurde, weil sie das Gefühl hatte, nicht hübsch genug, nicht erfolgreich genug zu sein. Ich wollte sie einfach wissen lassen, dass es reicht, wenn sie sie selbst ist. In ´Falling´ geht es darum, dass viele glauben, die Liebe wird sie finden und von allen Sorgen befreien. So läuft es aber nun mal nicht. Wir müssen lernen, auch das Gewöhnliche, das Banale zu akzeptieren.“

Um die Schwere der Texte abzufedern, setzte Temple musikalisch auf betont leichtfüßigen, eleganten und vielschichtigen Pop mit Stil, der geradezu fröhlich klingt.

Anders als der mit großem Besteck und unter der Obhut von Radiohead-Produzent Nigel Godrich live im Studio eingespielte Vorgänger ´Different Ship´ entstand das neue Album in Eigenregie in Temples Heimstudio.

„Ich wollte dieses Mal allein arbeiten, um alle Zeit der Welt zum Experimentieren zu haben, ohne durch wartende Mitstreiter gehemmt zu sein. Niemand möchte mir dabei zusehen, wie ich anderthalb Stunden versuche, den richtigen Synth-Sound zu finden!“, sagt er über seine Experimente mit dem DX7-Synthesizer, den er sich vor Beginn der Aufnahmen zugelegt hatte.

„Wie immer, wenn ich mir ein neues Instrument zulege, eröffnete sich mir eine völlig neue Welt.“ Dabei hatte er die Entscheidung für das neue Werkzeug im Studio eher impulsiv getroffen.

„Über den DX7 hatte ich gelesen, dass Brian Eno ihn oft benutzt hat. Außerdem war er recht billig, weil er nicht analog ist. Also habe ich mir kurz entschlossen einen zugelegt“, erzählt er.

Wohl auch deshalb dienten ihm als Inspiration für ´Be Small´ zwei Platten, an denen der bahnbrechende Soundtüftler und Ambient-Gigant mitgewirkt hatte. Die eine war ´This Way Up´, Enos Kollaboration mit John Cale aus dem Jahre 1990, die andere Robert Wyatts 1997er-Geniestreich ´Shleep´.

„Eno und Wyatt sind Künstler, mit denen ich mich schon sehr lange ausführlich beschäftigt habe. Cale habe ich zwar auch immer gehört, aber näher habe ich mich erst in letzter Zeit mit seinem Werk befasst“, gesteht Temple und verrät auch gleich, was es genau war, das er von den Großmeistern lernen konnte. „Wenn Robert Wyatt singt, schwingt immer diese blauäugige Unschuld mit. Wir haben ein ähnliches Timbre, deshalb ist er ein gutes Vorbild für mich. Außerdem streift er auch gerne den Jazz, ohne deshalb besonders jazzy zu klingen. Das tue ich auch, indem ich bisweilen dem Jazz entlehnte Akkorde verwende. Was ich von Eno, vor allem von seinen frühen Werken wie ´Another Green World´, aufgeschnappt habe, ist sein Faible für das Unfertige. Ein anderer Künstler, den ich für seine unvollendeten Songs sehr schätze, ist Arthur Russell, wobei das bei ihm daran liegt, dass viele seiner Lieder erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden und tatsächlich unfertig waren. Ich finde es einfach toll, wie echt, wie organisch, wie fehlbar diese Songs klingen!“

Die Idee, nicht alles zu Ende zu denken, versuchte Temple auch bei der Arbeit an ´Be Small´ umzusetzen.

„Ich möchte nicht unter dem Druck stehen, jedes Mal den perfekten Popsong abliefern zu müssen. Deshalb will ich in Zukunft noch stärker auf Unvollkommenheit setzen“, sagt er bestimmt. „Für gewöhnlich weiß ich ziemlich gut, wann ein Song fertig ist. Wenn du an den Punkt kommst, an dem die Arbeit beginnt mühselig zu werden, ist es Zeit, loszulassen. Wenn du vor eine Wand rennst, die du nicht überwinden kannst, oder dich mit deinen Ideen im Kreis drehst und nicht mehr weißt, ob sie nun gut oder schlecht sind – dann sollte der Vorhang fallen!“

Aktuelles Album: Be Small (Secretly Canadian / Cargo)


Weitere Infos: › www.herewegomagic.com Foto: Shawn Brackbill

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