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MELANIE A. DAVIS

Ein Name für die Angst

MELANIE A. DAVIS

Das digitale Zeitalter, die sozialen Medien und die Unwägbarkeiten der Streaming-Politik haben ja für die gesamte Musikbranche schwerwiegende Folgen, die das ganze System in Frage stellen. Andererseits ermöglicht das Alles insbesondere solchen Musikern ihre Kunst öffentlich zu machen, die nicht mit fetten Label-Deals, professioneller Promotion, Sponsoren und anderen Ressourcen gesegnet sind und deshalb alles selber machen müssen. Und zu genau dieser Spezies gehört Melanie A. Davis aus Murray, Kentucky, die mit ihrem jazzigen Indie-Appalachen-Folk bereits seit 2016 eigene Songs veröffentlicht und – neben einer Unzahl von EP-Projekten – nun gerade ihren dritten Longplayer „Honey Locust“ heraus brachte. Selbstverständlich wieder vollkommen interdependent aus dem heimischen Wohnzimmer heraus und hauptsächlich über bandcamp – dem einzigen Streaming-Anbieter, über den die Musiker fair bezahlt werden.

Melanie A. Davis hat sich als Medium eine Art Neo-Folk-Ansatz ausgesucht, in dem sie verschiedenste musikalische Stilistiken – Jazz, Do Wop, Swing, Pop, Walzer und ein wenig Psychedelia zu einem letztlich eigenständigen Mix verquickt. Dafür braucht man doch sicher eine fundierte musikalische Ausbildung, oder?

„Ja, ich habe Musik an der Murray State University studiert“, verrät Melanie, „das habe ich dann in Sachen Performance und Gesang fortgesetzt. Da habe ich dann in verschiedenen Ensembles gespielt - wie zum Beispiel für vier Jahre in einem Jazz-Orchester. Das habe ich wirklich geliebt. Mein Bruder ist ein Jazz-Gitarrist, der mich an die Sache herangeführt hat. Ich habe also immer schon die Musik geliebt und später dann auch die geschäftlichen Aspekte des Business jenseits der Performances als berufliche Laufbahn gewählt."

Und was ist die eigentlich treibende Kraft hinter Melanie's musikalischen Bestrebungen?

„Dass ich das immer schon gemacht habe, denke ich“, meint Melanie, „ich sehe das wie mein Bruder. Der hat mal gesagt: Wenn Du irgend etwas anderes als Musik machen kannst, dann versuche es, wenn es möglich ist – denn Du kannst ja immer auch musizieren. Und das ist es eben, was mich immer schon interessiert hat. Schon als ich noch sehr klein war, bin ich immer mit diesem Cassettenrecorder herumgelaufen und habe meine eigenen Songs aufgenommen. Die waren schrecklich – aber es hat mir Spaß gemacht, sie aufzunehmen. Schreiben und Singen und in dieser Kombination Singer/Songwriterin zu werden, war immer schon mein Ziel."

Im Zeitraum der Pandemie realisierte Melanie zwei Projekte: Die EP „Dear Diary, Do You Hate Me?“ und die mit ihrem Ehemann Fate McAfee während der Flitterwochen eingespielte „Honeymoon Session“. Hat sich die Pandemie denn auch auf Melanie's Songwriting ausgewirkt?

„Oh ja – zumindest was 'Honey Locust' betrifft. 'Germination' ist ein Song, den ich über diese Zeit geschrieben habe.“ „Germination“ bezeichnet die Zeit, in der Pflanzen keimen. Man könnte das aber auch so lesen, dass es um eine Infektion mit Keimen gehen könnte. „Ich habe den Begriff hier eher personifiziert. Denn es gibt nur so und so viele Arten, in denen man auf künstlerische Weise über einen Virus sprechen kann. Die Sache mit der Infektion wäre ja eher ein sprachlicher Witz. Es ging mir aber eher um die Ideen, die sich während der Zeit der Pandemie geformt haben. Ich habe Covid in eine Person umgewandelt, mit der ich dann gesprochen habe."

Melanie hat es eh mit der Personifizierung von Konzepten.

„Ja, das stimmt pflichtet Melanie bei, „einige meiner Songs mit Namen sind in dieser Art angelegt. Der Name 'Annie' des Titels von dem 'Dear Diary' Projekt ist etwa eine Personifikation einer meiner Ängste, die ich dann den Namen 'Annie' gegeben habe."

Warum? Geht es dabei um Therapie?

„Ich bin nicht in Therapie“, führt Melanie auf, „aber auf diese Weise kann ich mich mit meinem Geisteszustand und mit meinen Ängsten auseinandersetzen.“

Das heißt, dass die Musik dann die eigentliche Therapie ersetzt?

„Ja, das würde ich schon sagen“, bestätigt Melanie, „ich schreibe vielleicht nicht so viel, wie ich sollte und wünschte ich wäre produktiver – aber wenn es passiert, dann deswegen, weil ich mir etwas von der Seele schreiben muss. Ich verarbeite dann irgend etwas oder war so von etwas berührt oder bewegt, dass ich einfach etwas daraus machen muss. Das funktioniert ganz gut.“

Was ist denn die Bedeutung des Albumtitels? Ein „Honey Locust“ ist dabei übrigens keine süße Heuschrecke, sondern ein im Süden der USA endemischer Baum. Warum hat Melanie diesen Baum als Titel- und Leitmotiv für ihr Album gewählt? Mit dem Begriff „Honig“ scheint sie es ja sowieso zu haben, denn der taucht immer mal wieder in ihren Songs auf.

„Ich weiß“, meint Melanie schmunzelnd, „und ich habe mir schon eine Notiz gemacht, dass ich vielleicht auch noch einen Song namens 'Locust' schreiben sollte. Was den Honey Locust Baum betrifft, so geht es darum, dass man aus der Ferne gar nicht erkennen kann, was den Baum auszeichnet. Von weitem sieht die Rinde unauffällig aus, wenn man aber näher kommt, entdeckt man super böse Dornenknubbel mit langen Stacheln. Dabei dachte ich als Sinnbild an verschiedene Bereiche der amerikanischen Existenz, von denen man annimmt, dass die das Eine sind, aber je näher man kommt erkennt, dass sie etwa vollkommen anderes sind – sowohl im positiven wie im negativen Sinne."

Wie sieht Melanie ihre musikalische Zukunft?

„Ich denke ich werde vermutlich mal sehen, was sich ergibt“, zögert Melanie, „das nächste Projekt, das sich abzeichnet, wird eine Version von 'Honey Locust' sein, die ich mit einer vollen Band einspielen werde. Wir werden ein Haus in Northern Illinois mieten, das in 1892 erbaut wurde und ziemlich cool aussieht. Wir werden so viel wie möglich dort aufnehmen – und wenn es die ganze LP sein könnte, wäre das großartig. Und was das Schreiben betrifft – das kommt und geht, wie üblich. Mit 'Honey Locust' beschäftige ich mich schon seit des Vorgänger-Albums 'Allegoria' und in dem Zyklus befinde ich mich nach wie vor und zwischendurch reise und spiele ich, wo immer möglich."

Noch ein Hinweis: Das „A.“ in Melanie's Namen steht für ihren zweiten Vornamen „Antoinette“ und ist essentiell, wenn es darum geht, Melanie zu googeln – denn es gibt so einige Melanie Davis' ohne „A.“.

Aktuelles Album: Honey Locust


Weitere Infos: https://melanieadavis.bandcamp.com/music

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