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PRINZ PI

"Ich wollte nie einer von denen sein."

PRINZ PI

Prinz Pi ist zurück. Nach seinem letztjährigen Ausflug mit dem lange Zeit als verschollen geglaubten Alter Ego Prinz Porno und der derben Gangart des zugehörigen Albums ´pp=mcÇ´, besinnt sich er wieder aufs Tagesgeschäft. Das jedoch alles andere als alltäglich ist: ´Im Westen Nix Neues´ darf als sein Versuch über das Erwachsensein gewertet werden und zeigt den Familienvater auf der Suche nach Weisheiten, die für ihn heute essentiell sind. „Ganz so streng sollte man das nicht sehen“, betont der er mit einem Lächeln im Gesicht und sich bewusst darüber, dass die Rolle, die er in den Songs einnimmt, von vielen besonders genau beäugt wird. Ein Risiko, das das Wagnis wert ist – immerhin gebe es Regeln, die berechtigt sind und Normen, die man über Bord werfen sollte. Am besten sofort.

Kollegah hat die Rapwelt in der vergangenen Dekade fest im Griff gehabt: Stellte Rekorde im Musikstreaming-Bereich auf, überzeugte reihenweise Kritiker und war zuletzt Seite an Seite mit Friedrich Kautz aka Prinz Pi unterwegs, als dieser eine Reise in die Vergangenheit unternahm.

„Ich hatte da einfach Bock drauf, es gab keinen großen Plan“, erklärt er die kurzfristige Wiederbelebung seines Pseudonyms Prinz Porno vor knapp einem Jahr. Die Vielzahl seiner Fans reagierten positiv und bugsierten das Comeback-Album ´pp=mcÇ´ prompt auf die Pole Position der deutschen Albumcharts.

Kein Grund zu übertriebenem Jubel für den Macher selbst: „Was bedeutet die Nummer Eins bei stetig sinkenden Verkaufszahlen schon“, winkt er lapidar ab und nimmt sich den Druck, mit dem neuen Prinz Pi-Album ´Im Westen Nix Neues´ irgendwelche Erfolge bestätigen zu müssen.

Im hintersten Zimmer seines Headquarters in Berlin-Tempelhof sitzt ein entspannt wirkender Friedrich Kautz, der nicht nur mit der Vergangenheit als Genre-Rebell Frieden gemacht hat, sondern auch weiß, dass alles stets nur eine Aufnahme des Moments ist. So auch die neuen Tracks.

In jungen Jahren, erklärt er weiter, da glauben viele mit jedem neuen Release das perfekte Statement vorgelegen zu müssen. Solche Sichtweisen relativen sich mit dem Alter und die Freude verlagere sich mehr auf ein gutes Ergebnis.

Aufgewachsen im Berliner Stadtteil Charlottenburg, rebellierte der heute 36-jährige als Teenager gerne und am besten überall, wo es möglich war. Im Internat zum Beispiel und gegen das dortige Verbot, mit Mützen im Schulgebäude herumzulaufen.

„Ich habe damals die Lehrer ernsthaft gefragt, warum es diese Regel gibt und was der Grund dafür sei – niemand hatte eine vernünftige Erklärung und deswegen habe ich auf die Vorschrift gepfiffen“, zum Ärger vieler, schmunzelt er die beiläufige Anekdote weg.

Die allerdings wunderbar zeigt, worum es auch auf der neuen Platte geht:

Um ein Zurechtfinden in der Welt. Sowie: Dem Erstellen eines Wertekatalogs, der zum eigenen Leben passt und nicht von anderen vorgegeben wird.

„Das versuche ich meiner Tochter ebenso beizubringen und verteidige ihre Entscheidungen, sobald mir Dinge, die sie angeblich nicht machen soll, vollkommen unschlüssig vorkommen.“

Was ihm auf Elternabenden regelmäßig die Beliebtheitspunkte raubt, meint Kautz mit unterschwelligem Stolz in der Stimme.

Gegenüber den Lehrern diskutiere er heute wie einst als Schüler und versetze sich damit in die Rolle, die ihm wie keine zweite auf dem Leib geschneidert scheint: Ein stetig fragender Rebell zu sein, der vor fast 20 Jahren ins Business starte und mit ´Im Westen Nix Neues´ so deutlich wie selten zuvor Bilanz zieht.

Dabei will Kautz von einem etwaigen Erziehungsauftrag nichts wissen – zumindest nicht als Musiker. Selbst wenn seine ersten Schritte in diese Welt heute rätselhaft wirken: Damals, als er 1998 mit ´Porno Privat´ sein Debüt veröffentlichte, nur um allem und jedem den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen.

Manche Fans vermissen diese Direktheit, erklärt er, andere wiederum loben die Vielschichtigkeit, die inzwischen via Lyrics zum Markenzeichen von Prinz Pi geworden ist. Was durchaus an seinen stetig wechselnden Vorbildern liegt und auf dem 2013 veröffentlichten ´Kompass Ohne Norden´ namentlich benannt wird:

„Bob Dylan gab mir einst einen Kompass ohne Norden“, heißt es dort und zeigt, dass der Protagonist privat oft Alben hört, die weniger auf seine Rolle als standesgemäßer Rapper einzahlen.

„Neulich schrieb ein User unter eines meiner Videos: ‚Was ist denn dieser Dylan für ein Typ? Warum gibt er dir einen kaputten Kompass?’“

Ein lustiger Kommentar, zeigt er jedoch, dass Kautz eine Sonderrolle im Genre einnimmt: Da er einerseits viele Gepflogenheiten des deutschsprachigen Sprechgesangs bedient – demgegenüber aber mindestens zu gleichen Teilen mehr als nur der derbe und brachiale Songwriter sein will.

Ob er sich aufgrund dessen manchmal im Geheimen wünsche, es einst mit einem anderen Stil als Musiker versuchen zu haben? Nein, schüttelt er den Kopf, hier sei seine musikalische Heimat und den Leuten ab und an etwas zum Denken mitzugeben, darum ginge es in jedem Genre. Ob Folk, Rock oder Rap.

Diesem Anspruch wird ´Im Westen Nix Neues´ - das je nach Zählweise 14. Release - in Belangen gerecht. Es schlägt einen Bogen zwischen jugendlichem Leichtsinn, anschließendem Aufbäumen und den vielen Lehren, die man irgendwann als Erwachsener daraus zieht.

Wobei es nicht als Lehrstunde wahrgenommen werden soll. Ganz im Gegenteil, ist die Platte eine Momentaufnahme, die Kautz genau so für die Richtige hält: „Ich trage seit sechs Jahren als Vater die Verantwortung für einen Menschen und diese Rolle prägt mich in allen Bereichen. Da ist jemand, der einen zum Nachdenken bringt und wie du einst Dinge hinterfragt. Niemals würde ich meiner Tochter sagen, sie darf etwas nicht machen, weil man das eben nicht macht. Triftige Gründe sind entscheidend, damit Regeln als solche akzeptiert werden.“

Erzählt er, richtet sich die Wollmütze auf dem Kopf und greift süffisant zur Wasserflasche, als würde er seinem jüngeren Ich im Internat gut zusprechen wollen. Prinz Pi ist tatsächlich reifer geworden, was allein der Umgang mit der Vergangenheit unterstreicht, die er bewusst in die Gegenwart manövrierte.

Durch die Rückkehr als Prinz Porno hat sich vieles entspannt und vielleicht ist ´Im Westen Nix Neues´ deswegen so ein Erwachsen-wirkendes Album geworden, da Kautz die Vergangenheit als Bestandteil des Hier & Jetzt akzeptiert hat.

Zur Verabschiedung spricht er dann noch kurz über Ideen zu Songs, die ihn regelmäßig beschäftigen und vor allem aus Sicht der Lyrics derart komplex sind, dass ein vorhergehendes Philosophiestudium offensichtlich ratsam wäre. Denn das ist Friedrich Kautz auch: Ein begeisterter Leser Ludwig Wittgensteins.

Der mit seinem ´Tractatus Logico-Philosophicus´ auf gerade einmal knapp 100 Seiten so viele Rätsel aufgab, dass sich die Fachrichtung heute noch die sprichwörtlichen Zähne an der Komplexität ausbeißt.

Wobei Prinz Pi als Musiker gelernt hat, dass es mit den eigenen Ansprüchen läuft wie mit Normen und Regeln in einer Gesellschaft – sie gehören hinterfragt und permanent auf ihren tatsächlichen Gehalt abgeklopft.

´Im Westen Nix Neues´ hat sich diesem Prinzip verschrieben und versucht mit einfachen Mitteln komplexe Herausforderungen zu meistern. Erfolgreich und jedes Wagnis wert.

Aktuelles Album: Im Westen nix Neues (Keine Liebe / Groove Attack)

Vö: 28.01.2016

Foto: David Daub

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