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MASSIVE ATTACK

Überraschung durch Tradition

MASSIVE ATTACK

Massive Attack waren über die Jahre immer für eine Überraschung gut. Mindestens für eine. Das ging schon vor 20 Jahren los. Als sich das Künstlerkollektiv The Wild Bunch wie eine Krake über Bristol ausbreitet und Musikgeschichte schreibt. Schon damals sind die späteren Massive Attack-Protagonisten Robert „3D“ Del Naja, Grant „Daddy Gee“ Marshall and Andrew „Mushroom“ Vowles mit von der Partie. Neben Tricky, Nellee Hooper oder Smith&Mighty. Und überraschten durch die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen. Dazu zählen neben Punk-, New Wave-, Rhythm&Blues-, Soul-, und Reggae-Elementen auch nichtmusikalische Formen, wie Graffiti und Slam. Durch die Fokussierung auf die jeweils langsameren Anteile und elektronischen Atmosphären der unterschiedlichen Rhythmen wird der Grundstein für Trip-Hop gelegt. Diesen Klang kultivieren Massive Attack auch nach dem Zerbrechen von The Wild Bunch. Erinnert sei nur an das fulminante 1991er-Album „Blue Lines.“

Überraschend politisch

Die Truppe aus Bristol hat bis heute Haltung bewahrt. Nicht nur musikalisch. Auch politisch. Grant „Daddy Gee“ Marshall hat keine Schwierigkeiten dies zu begründen und beginnt mit einer Frage: „Hat sich etwas geändert über Jahre? Ich meine, wirklich etwa verändert? Genauso, wie wir gegen das Zeitalter des Thatcherismus zu Felde gezogen sind, ist es heute notwendig, gegen die Labour-Politik die Stimme zu erheben. Die verkaufen dir doch die gleichen alten Tüten, nur mit einem schicken neuen Aufkleber. Nichts ist gelöst, Umweltfragen nicht. Die Armutsschere nicht. Nimm was du willst. Rassismus, Krieg oder Überwachungsstaat. Die Probleme tragen nur neue, trendige Kleider.“

Auf der Bühne wird diese Auffassung mit einer deutlichen, grellen Laufschrift-Flut untermauert.



Überraschend unfertig

Eine gefühlte 100jährige Lücke klafft zwischen der letzten echten Platte von Massiv Attack. Es war übrigens die Veröffentlichung „100th Window“ aus dem Jahr 2003. „Heligoland“ ist auch erst das fünfte in einer nahezu zwanzigjährigen Bandgeschichte.

„Immer, wenn wir dachten, die Stücke wären nun bereit für ein neues Album, stellte sich etwas in den Weg“, erklärt Grant „Daddy Gee“ Marshall die ewig lange Schaffensperiode „es gab neue Einflüsse durch eine Tour, aber gleich solch prägende, dass die Stücke so nicht bleiben konnten. So banal es klingt, aber auch das fortschreitende Leben kann nicht ohne Einfluss bleiben. Du hörst ja nicht auf zu denken. Und schon wieder können die Stücke so nicht bleiben. Auch das, was jetzt auf „Heligoland“ zu hören ist, sind definitiv keine fertigen Stücke. Maximal Momentaufnahmen, den Stand der Dinge zu dem Zeitpunkt beleuchten, an dem wir sie der Plattenfirma übergeben haben.“

Dass Massive Attack-Stücke nie fertig sind, demonstrieren sie immer wieder durch gnadenlose Neuinterpretationen während ihrer Konzerte.



Überraschend mattschwarz

Die Bässe drücken in der Magengegend. Zeitlupenartig windet sich ein düsterer, schleppender Takt aus den Tiefen der Finsternis. Trauer schwingt mit. Die komplexe Klangwelt irgendwo zwischen Rausch und Nüchternheit, auf einer Nichbewußtseinsebene schimmert mattschwarz. Die vor einiger Zeit zum Duo geschrumpfte. Massive Attack kreieren den musikalischen Tunnelblick. „Heligoland“, die aktuelle Massive Attack-Scheibe dreht ihre Runden im CD-Spieler. Massive Attack klingen, als seien sie von einer Reise aus dem Jenseits von allem zurückgekehrt und hätten während der Rückkehr Bezug auf all dies genommen.

„Um dies umzusetzen haben wir uns Kooperationspartner gesucht, die nicht nur so denken können, sondern dies auch in die kreative Arbeit einbringen können“, stellt Grant „Daddy Gee“ Marshall die kleine Streitarmee vor. Die von ihm vorgelegte Liste ist illuster: Damon Albarn, Hope Sandoval, Martina Topley-Bird, Guy Garvey und Tunde Adebimpe sind ebenso dabei, wie der Falsett-König Horace Andy, der die Band schon vor ewigen Zeiten stimmlich begleitete. Aber Massive Attack wären nicht Massive Attack, hätten sie sich lediglich stimmgewaltige Partner gesucht. Damon Albarn zupft bei „Flat Of The Blade“ den Bass und tobt sich bei „Splitting The Atom“ an den Tasten aus. Adrian Utley von Portishead zeigt bei „Saturday Come Slow“ seine Fingerfertigkeit an der Gitarre. Weiterhin hatte Produzent und DJ Tim Goldsworthy seine Finger im Spiel. Die von Grant „Daddy Gee“ Marshall vorgelegte Liste ist illuster und das Ganze hat nur einen Zweck: „Oberstes Ziel der neuen Platte ist, das Publikum ordentlich zu überraschen“, Und dass auch bei Massive Attack alles anders bleibt, beweist neben der Musik und der Politik erneut die Tatsache, dass die Anhängerschaft zu dieser Band, zu diesem Stil mal wieder nicht kompromisslos und einfach so ausgelebt werden kann. Aber Bezüge zwischen Denken und Musik herzustellen, das ist doch mal eine Aufgabe.

Massive Attack Heligoland (Virgin / EMI)

Foto: Hamish Brown

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