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MARY GAUTHIER

Die Songflüsterin

MARY GAUTHIER

Wahrscheinlich hätte sich Mary Gauthier auch selbst nicht träumen lassen, dass sie 25 Jahre, nachdem sie im Alter von 35 Jahren ihren Job als Restaurant-Leiterin an den Nagel hing und sich für eine Laufbahn als Songwriterin entschied, immer noch gut im Geschäft sein würde und nun mit „Dark Enough To See The Stars“ auch schon bereits ihr neuntes Studio-Album vorlegt. Nachdem sie sich für ihr letztes Album „Rifles & Rosary Beads“ mit US-Kriegsveteranen und deren Familien zusammen tat, um ein Konzeptalbum über die Probleme von Kriegsheimkehrern zu erschaffen, ist das neue Album nun wieder eine ganz „normale“ Songsammlung, mit der Mary die letzten beiden Pandemie-Jahre musikalisch Revue passieren lässt. Zwischenzeitlich veröffentlichte sie auch noch ihr Buch „Saved By A Song – The Art And Healing Power Of Songwriting“ - aber das ist eine andere Geschichte.

War die Pandemie – außer bei den Aufnahmen selbst – ein Faktor, der das neue Album beeinflusst hatte?

„Ja, denn viele der Songs sind erst während der Pandemie entstanden“, erklärt Mary, „ich habe auch erstmals auf Zoom geschrieben mit meinen Co-Autoren Ben Glover, Jamee Harris und Beth Nielsen Chapman. Vieles entstand im Lockdown – besonders die Sachen über Trauer und Verlust, denn ich habe viele Freunde durch die Pandemie verloren. Es war sehr hart. Ich werde ja auch langsam älter und die Leute sterben schon alleine wegen des Alters. Und das ist immer ein Schock, wenn das anfängt und man das realisiert."

Hilft die Musik denn, mit diesem Thema umzugehen?

„Ich denke mein Job ist über das zu schreiben, was ich sehe“, überlegt Mary, „was ich zur Zeit erfahre, ist eben eine Menge Liebe und eine Menge Verluste. Wer weiß: Vielleicht geht das auch Hand in Hand? Wenn man viele Menschen liebt, dann verliert man auch viele. Ich weiß nicht, ob das therapeutisch ist oder ob das nur einfach meine Aufgabe ist, über das, was ich sehe und für wesentlich erachte, zu schreiben. Ich weiß aber, dass eine Menge Leute, die diese Songs hören und ähnliches verspüren, sich weniger alleine fühlen. Und ich denke, dass das sehr wichtig ist."

Was will uns denn der Titel des Albums „Dark Enough To See The Light“ sagen? Den Song hatten Mary und Beth Nielsen Chapman bereits vor einiger Zeit angefangen – aber erst während der Pandemie (vielleicht in einem neuen Licht?) fertiggestellt. Wenn es dunkel genug ist, die Sterne zu sehen, dann gibt es ja durchaus auch Licht in diesem Dunkel.

„Das ist genau die Idee“, bestätigt Mary, „wenn die Umstände schwieriger und schwieriger werden, dann fängt man an, zu verstehen, was wirklich wichtig ist. Und das ist es, worum es in dem Song geht. Man muss priorisieren, wenn es schwierig wird – und das ist es, was wir aussagen wollten: Die Liebe ist das, worauf es ankommt. Auch in Zeiten von Krisen und Krieg – das ist das, woran ich glaube."

Bei einem ihrer Konzerte richtete sich Mary ein Mal an das Publikum und sagte sinngemäß, dass sie dieses nun mal mit an den Rand des Abgrundes führen und gemeinsam hineinblicken, aber nicht hineinspringen wolle. Ist diese Art von Balance auch songwriterisch wichtig für Mary?

„Nun wenn ich Songs schreibe, dann schreibe ich das, was direkt vor mir liegt“, führt sie aus, „und dann beginnen die Songs, sich zu entwickeln. Ich gehe einen Song nicht mit der Vorstellung an, was oder wie er zu sein hat. Der Song verrät mir das schon irgendwann. Ich habe also keine Straße, auf der ich reise, sondern ich sitze an meinem Schreibtisch und folge Hinweisen und höre auf das, was mir zugeflüstert wird. Und dann sammeln sich die Songs an und ich habe genug, um eine Scheibe zu machen und erst dann schaue ich sie mir an und frage mich, was denn wohl die Geschichte sein mag, die erzählen will – denn diese kenne ich selbst nicht, bevor ich nicht alle Songs geschrieben habe. Und wenn ich mir diese neuen Songs dann anschaue, dann sehe ich eine Geschichte über die Pandemie, über Trauer und Verlust, aber auch über eine tiefe Dankbarkeit darüber, eine Person zu haben, die das mit mir durchgemacht hat. Und dann ist da noch die Liebe und Gegenwart einer Person, die mir so nahe ist, die wirklich unglaublich ist. Die Vorstellung, dass es eine Menge Menschen gibt, die das alles alleine haben durchmachen müssen, ist ganz schön hart. Ich versuche also gewiss nicht, die Leute an irgendwelche Grenzen zu führen, sondern lediglich, die Geschichte zwischen 2020 und 2022 zu erzählen."

Aktuelles Album: Dark Enough To See The Light (Thirty Tigers / The Orchard) VÖ: 03.06.

Foto: Alexa Kinigopoulos

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