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SIMON JOYNER

Was wirklich zählt

SIMON JOYNER

Bisweilen etwas spröde im Vortrag, aber stets eindrucksvoll poetisch in seiner Sicht der Dinge, textlich bildgewaltig, aber musikalisch minimal: Auf ´Songs From A Stolen Guitar´, seinem fesselnden neuen Album, zeichnet Simon Joyner, der 50-jährige Ausnahme-Singer/Songwriter aus Omaha, Nebraska, die beklemmende Zeit der Pandemie nach und verfolgt dabei unbeirrt seinen eigenen Weg.

Rund zwei Dutzend Platten hat Simon Joyner in den zurückliegenden drei Jahrzehnten veröffentlicht und sich dabei – inspiriert von Bob Dylan, Townes Van Zandt oder Leonard Cohen und angelehnt an einen leicht psychedelischen Country-Folk-Sound – einen ganz eigenen Klangkosmos geschaffen, in dem keine seiner Veröffentlichungen der anderen gleicht. Von einer kleinen, aber eingeschworenen Fangemeinde, zu der auch Conor Oberst, Kevin Morby, Zachary Cale oder Gillian Welch gehören, geradezu kulthaft verehrt, ist Joyner ein Meister filmreifer Storytelling-Songs, die ganz auf philosophische, von sanfter Schwermut getränkte Alltags-Beobachtungen ausgerichtet sind und mit denen er nicht selten die Kehrseite des amerikanischen Traumes beleuchtet und dabei kleine Wahrheiten in Details findet, die andere gar nicht wahrnehmen. Das ist auch bei ´Songs From A Stolen Guitar´ nicht anders.

COVID-19 ist schuld daran, dass dieses Mal deutlich mehr Zeit zwischen dem Schreiben der Songs, den Aufnahmen und der Veröffentlichung vergangen ist. Schon Ende 2020 machte Joyner seine allein eingespielten Demo-Versionen der neuen Songs auf Bandcamp zugänglich, doch während die Demos zu früheren Platten oft schon Rückschlüsse zuließen, in welche Richtung die fertige Platte gehen würde, schienen sie dieses Mal deutlich ergebnisoffener zu sein.

„Das kann ich nachvollziehen“, sagt Joyner beim Westzeit-Interview im niederländischen Nijmegen vor seinem Auftritt im Doornroosje gemeinsam mit Ryley Walker. „Weil die Songs eine ganze Weile vor den Aufnahmen entstanden sind, gab es eine lange Zeit, in der ich die Songs nicht wirklich anrührte, und als ich die Arbeit wieder aufnahm, habe ich sie nochmals bearbeitet und gestrafft. Das passiert für gewöhnlich nicht, denn normalerweise hast du die Songs, machst die Demos und dann entstehen kurz danach die Arrangements mit der Band. Diesmal mal dagegen gab es diese große Lücke, und das gab mir Zeit, darüber nachzudenken, wo ich mit den Liedern hinwollte."

Dunkel und eindringlich sind diese neuen Songs, mit denen es Joyner gelingt, das bedrückende Gefühl der Isolation, die Kluft zwischen Einsamkeit und Alleinsein, nicht nur inhaltlich, sondern auch klanglich brillant zu illustrieren. Durch die Pandemie der Chance beraubt, wie bei praktisch all seinen Platten zuvor auf viel Spontaneität und kollaborativen Gemeinschaftssinn im Studio zu setzen, machte er aus der Not eine Tugend und ließ die beteiligten Musiker allesamt allein ihre jeweiligen Parts finden und diese verstreut über halb Amerika aufnehmen, um so das Gefühl der Isolation auch im Produktionsprozess aufzugreifen. Zwar gab Joyner seinen Mitstreitern einige Anweisungen mit auf den Weg, um eine Stimmung oder Richtung vorzugeben, ohne allerdings den Musikern zu viele Freiheiten zu nehmen. Tatsächlich nahmen deshalb viele der Songs erst Form an, als Joyner sie mit der Unterstützung von Michael Krassner, einem Wegbegleiter der ersten Stunde und so etwas wie sein heimlicher musikalischer Direktor, abgemischt hat.

„Das Ganze war ein viel stärker skulpturaler Prozess als jemals zuvor“, verrät Joyner. „Wir haben beim Mischen viele Entscheidungen getroffen, zum Beispiel haben die Drums vielleicht die ganze Zeit gespielt, aber wir haben sie herausgezogen, bis der richtige Zeitpunkt für ihren Einsatz gekommen war. Die Platte hätte sehr voll klingen können, aber ich wusste von Beginn an, dass sie so reduziert wie möglich sein sollte."

Der veränderte Prozess führt dazu, dass ´Songs From A Stolen Guitar´ zwar spürbar aus dem gleichen Holz geschnitzt ist wie der 2019er-Vorgänger ´Pocket Moon´, die Songs aber gleichzeitig absichtsvoller in Szene gesetzt sind als je zuvor. „Die Angst, eine Platte zweimal zu machen oder etwas zu machen, das nicht für sich allein steht, ist natürlich immer da“, gesteht Joyner. „Ich möchte nicht, dass die Leute ein Lied hören und sich fragen: „Auf welcher Platte ist das doch gleich?“ Lieber sollen sie es sofort wissen: „Oh, das klingt wie etwas auf ´Out Into The Snow´.“ Wenn ich aufnehme, möchte ich, dass die Lieder als Ganzes funktionieren und ihr eigenes Ding bilden. Alle Songs sollen irgendwie verbunden sein, wenn schon nicht thematisch – zumeist sind sie das –, dann zumindest aber klanglich."

Ein weiterer Unterschied: Während die letzte LP betont persönlich gehalten war, klingen die Lieder auf ´Songs From A Stolen Guitar´ bisweilen so, als ginge es mehr um das Geschichtenerzählen als das Verarbeiten eigener Emotionen.

„Ich denke, das ist eine gute Einschätzung“, sagt Joyner. „Zu Beginn der Pandemie war ich ziemlich deprimiert, wie viele andere auch. Ich fühlte mich ziemlich hoffnungslos, und ich konnte nicht einmal Gitarre spielen oder irgendetwas schreiben. Für eine Weile hatte ich einfach keine Lust, irgendetwas zu tun, und es war schwierig, wieder reinzukommen. Also begann ich mit einer Art Schreibübungen, bei denen ich einfach frei schrieb und dann ein Bild oder eine Idee aufgriff und daraus Songs baute. Die allgemeine Stimmung, das Gesamtgefühl der Platte ist jedoch persönlich."

Trotz der ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte des Albums hat man deshalb das Gefühl, dass Joyner seinen künstlerischen Idealen ganz nah ist. Auch das ist eine Reaktion auf die Pandemie, auf die Zeit des Grübelns und des Nachdenkens.

„Ich bin jetzt wieder der Idee verpflichtet, bei den Dingen, die wichtig sind, keine Kompromisse einzugehen, auf meinem Standpunkt zu bestehen und nichts zu verwässern, ganz egal, ob beim Songwriting-Prozess oder beim Veröffentlichen von Musik“, sagt er bestimmt. „Ich denke, dass diese Haltung in meiner Musik genauso reflektiert wird wie im Privatleben: Beschränke dich auf die Dinge, die dir wichtig sind, und widme dich ihnen so ehrlich wie möglich. Es ist eine schöne Abwechslung, alles zu reduzieren und mehr auf Qualität zu setzen, anstatt ein Erlebnis auf das nächste zu türmen. Es sind die wichtigen Erfahrungen, die wirklich zählen!"

Aktuelles Album: Songs From A Stolen Guitar (BB*ISLAND / Cargo)


Weitere Infos: › www.instagram.com/simonjoynermusic

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