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JACK PEÑATE

Die Freiheit nehm´ ich mir

JACK PEÑATE

Vor zehn Jahren war Jack Peñate nach seinem zündenden Sturm-und-Drang-Debüt ´Matinee´ und dem freigeistig-ambitionierten Nachfolger ´Everything Is New´ auf dem besten Weg, der nächste Superstar der anspruchsvollen britischen Popmusik zu werden. Stattdessen zog der damals 25-jährige Londoner erschöpft die Reißleine. Erst jetzt, zehn Jahre später, kehrt er zurück. Seine neue LP ´After You´ ist ein überbordender Rundumschlag jenseits aller Schubladen.

Eines wird bei unserem Gespräch mit Jack Peñate bei seinem Pressestopp in Berlin schnell klar. Die Pause und die damit verbundene Zeit zur Selbstreflexion haben dem smarten Tausendsassa gutgetan.

„Ich kann sagen, dass ich heute viel ruhiger bin“, bestätigt er. „Vor zehn Jahren war ich noch deutlich temperamentvoller und wusste nie, wo meine Schuhe am nächsten Morgen sein würden. Jetzt bin ich ein glücklicher Mensch, der dem Musikersein und der Unausweichlichkeit, analysiert und beurteilt zu werden, mit Gleichmut begegnet.“

Ausgebrannt hatte sich Peñate nach der Veröffentlichung von ´Everything Is New´ im Jahre 2009 gefühlt und sich selbst eine Atempause verordnet, die bald ungeahnte Formen annahm.

„Die ersten ein, zwei Jahre war ich einfach glücklich, mein Leben zu leben und normal sein zu können“, erinnert er sich.

„Dann stellte ich fest, wie glücklich ich war, kreativ zu sein, ohne mich mit den Nebenwirkungen des Plattenveröffentlichens herumschlagen zu müssen. Damals saß ich einfach zu Hause und erfreute mich daran, Songs zu schreiben, ohne dass ich sie irgendjemand vorspielen musste!“

Kein Wunder also, dass Peñate sich für ´After You´ von Musik mit heilender Wirkung inspirieren ließ, von Gospel, von Chicago House, vor allem aber von spiritueller mittelalterlicher Musik aus dem 15. Jahrhundert.

„Die Musik entstand damals, um dem Hörer ein Gefühl der Hoffnung zu vermitteln“, erläutert er. „Das war eine wichtige Inspirationsquelle für mich: Musik, die mich bestärkte, tröstete oder ermutigte und in irgendeiner Weise mit einer heilenden Kraft verbunden ist – wie auch immer die aussehen mag.“

Zu genau diesem Gefühl vorzustoßen war Peñates Ziel, und auf ´After You´ gelingt ihm das mit einer großen Bandbreite unterschiedlicher Sounds – und Arthur Russell als wichtigem Wegweiser:

„Er hat Countrymusik gemacht und Disco und später seine Songs mit Cellos instrumentiert“, erklärt Peñate das Wirken des früh verstorbenen Allroundgenies. „Was du dir auch vorstellen kannst – er hat´s gemacht und noch dazu erfolgreich! Er ist mein Guru, wenn es darum geht, sich als Solokünstler immer wieder neu zu erfinden und trotzdem man selbst zu bleiben. Diese Freiheit wollte ich mir unbedingt gönnen.“

Deshalb sieht Peñate auch in den jüngsten Umwälzungen in der Musikindustrie etwas Gutes: Statt an ein Projekt, ein Genre gebunden zu sein, kann man sich nun besser denn je in kurzfristigen Kollaborationen künstlerisch richtig austoben.

„Genau das war einer der Gründe, warum ich so begeistert von der Idee war, jetzt zur Musik zurückzukehren“, erklärt er. „Heute sampelt Kendrick Lamar Beach House – und das ist völlig normal. Dass sich heute niemand mehr an vorgegebene Pfade hält, mein Gott, das ist so aufregend! Das war der Punkt, an dem ich dachte: Scheiße, vielleicht habe ich dann auch eine Chance!“

Die künstlerische Reise, aus der ´After You´ resultierte, hat Peñate allein begonnen, doch nachdem er sich ausgiebig selbst verwirklicht hatte, sah er am Ende keinen Grund mehr, sich das Leben aus rein egoistischen Gründen unnötig schwer zu machen, und nahm die Unterstützung von Mitstreitern wie Paul Epworth, Inflo oder Alex Epton dankend an.

„Für eine Weile hatte ich das Gefühl, dass die Platte zu einsam klingen würde, aber sobald ich andere Leute an der Arbeit beteiligte, wurde den Songs Leben eingehaucht“, freut er sich. „Kollaborationen sind zudem der beste Weg, etwas über dich selbst zu lernen. Du bist nicht mehr allein und starrst in den Spiegel, plötzlich ist dort jemand, der dich auf deine Schwächen hinweist, du bist konfrontiert mit einem Gegenüber, dem du dein Handeln und deine Entscheidungen erklären musst.“

Dass Kollaborationen irgendwann unumgänglich erscheinen, ist für ihn auch Resultat eines Reifungsprozesses, oder wie er es am Ende lachend ausdrückt:

„Wir sind ja nicht alle Prince. Wir können ja nicht alles allein spielen!“

Aktuelles Album: After You (XL Recordings / Beggars)



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