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SIMPLY RED

„Ich bin sehr glücklich mit meinem Haar.“

SIMPLY RED

Der Prunk hat die Musikindustrie noch nicht völlig verlassen. So weit ist der Weg zum Kaffee-Pad-Gerät am anderen Ende des Zimmers, dass man es sich zwei Mal überlegt, ob man diese Expedition wirklich auf sich nehmen will. In dem beeindruckend riesigen Raum, ja beinahe einem Ballsaal, des feudalen Berliner ´Hotel de Rome´ sitzt Mick Hucknall ganz allein auf einem Stühlchen. Der Mann mit der, auch beim Sprechen schon, charakteristischen und in diesem Ambiente mächtig hallenden, Soulstimme und den nicht minder markanten Rothaaren ist hier, um über ´Blue Eyed Soul´ zu berichten, das neue Werk seiner Band Simply Red, deren einziges festes Mitglied er ist.

Okay, schnell stellt sich heraus, dass Mick mehr Bock hat, aus dem familiären als aus dem musikalischen Nähkästchen zu plaudern, aber auch das soll uns recht sein. Auf den zehn neuen Songs jedenfalls macht Hucknall, 59, so viel Dampf wie lange nicht. War er zwischen Mitte der 80er und Mitte der 90er in erster Linie mit Schmusi-Dusi-Songs wie ´If You Don’t Know Me By Now´, ´Holding Back The Years´ oder ´Stars´ erfolgreich, so widmet er sich nun seinen großen alten Funk- und Soul-Vorbildern wie James Brown und Nat King Cole. Und er macht das richtig gut. Zunächst jedoch gilt es, die wirklich wichtigen Fragen zu klären.

Mick, ist eigentlich alles echt?

“Du meinst auf dem Kopf?”

Ja. Deine Haare sind wirklich ungemein rot.

“Danke. Das müssen sie auch sein. Ich bin sehr glücklich mit meinem Haar.”

Aber du schummelst da schon ein bisschen, oder?

“Ich unterstütze den natürlichen Farbton ein wenig. Noch näher ins Detail werde ich jetzt nicht gehen. Töte das Bild nicht (lacht). Es ist Showbusiness, Baby. Ich heiße Simply Red, und nicht etwa Simply Gray.”

Deine Tochter Romy ist zwölf. Hat das Mädchen die Haare seines Vaters geerbt?

“Meine Tochter ist die perfekte Mischung zwischen meiner Frau und mir. Sie hat das gute Aussehen von Gabriella, und ja, sie hat meine roten Haare. Ich bin froh, dass es nicht umgekehrt ist.”

Sind die beiden deine bevorzugten Musen?

“Oh ja, beim Songschreiben verschmelzen sie für mich regelrecht zu einer Einheit. ´Thinking Of You´ beispielsweise ist sehr unmittelbar von den beiden inspiriert. Der Song war der Startschuss für das gesamte Album.”

Wie kam dir die Idee zu dieser funky Uptempo-Nummer?

“Einfach so. Ich bin kein großer Planer. Ich saß zuhause und genoss das ruhige Leben mit Tochter, Frau und unserem Hund. Ganz plötzlich schoss mir diese Melodie in den Kopf. Ich habe sie schnell ins Handy gesungen, ein paar Textzeilen dazu gedichtet, und nach zwanzig Minuten war der Song fertig. Ich komponierte dann noch ein paar weitere und spürte, wie sehr ich mich zu Bläsern, Gitarre und Bass hingezogen fühlte. Im Studio hatte ich das klare Bild dieser Platte vor Augen und konnte den Musikern sagen, wie ich es haben wollte. Aber wir hatten über Romy gesprochen, oder?”

Hatten wir. Welche Musik hört deine Tochter so?

“Im Moment ist sie zu hundert Prozent besessen von Pink. Abend für Abend geht sie in ihr Zimmer und dreht so richtig auf. Aber von mir aus gerne, Pink ist cool und ein gutes Vorbild für Mädchen. Außerdem zeichnet meine Tochter sehr gut und macht ihre eigenen Puppen.”

Sie macht ihre eigenen Puppen?

“Genauso ist es. Sie nimmt alte Puppen, baut sie auseinander, dann ersetzt sie die Haare oder einzelne Körperteile und schraubt sie wieder zusammen.”

Hört sich so ein ganz klein wenig unheimlich an.

“Nein, nein, keine Sorge. Das Hobby hat sie von ihrer Großmutter. Auch meine Frau ist sehr begabt, wenn es ums Designen geht. Ich kann dagegen ganz gut malen. Und ich bin der offizielle Chefkoch daheim.”

Was gibt es denn so bei euch?

“Meine Spezialität ist Indisch, denn ich wuchs als Teenager in einem indischen Viertel daheim in Manchester auf. Indisches Essen war das erste, was ich lernte. Wie du vielleicht weißt, ließ uns meine Mutter im Stich, als ich drei Jahre alt war. Ich habe früh gelernt, mich zu versorgen. Auch Französisch, Italienisch, Chinesisch, Deutsch und Ungarisch bekomme ich hin.”

Deutsch?

“Ich liebe Rotkohl. Und dazu ein anständiges Schnitzel. Der Vater meiner Frau ist Deutscher, ihre Mutter Ungarin. Sie ist in Wien geboren und in Frankfurt am Main aufgewachsen.”

Sprichst du Deutsch mit denen?

“Nein, für so eine schwere Sprache ist mein Gehirn zu klein. Ich kann fließend Italienisch, aber sonst nichts.”

Zurück zum Album. ´Complete Love´ ist ein sehr hübscher Lovesong. Für wen?

“Einmal darfst du raten. Frau und Tochter. Der Text ist inspiriert von Nat King Coles Song ´Nature Boy´, er singt darin „the greatest thing you’ll ever learn. Is just to love and to be loved in return.“ Seit ich ein Kind habe und verheiratet bin, kann ich sagen, dass ich, wenn ich sterbe, geliebt wurde und geliebt habe. Das ist doch mit Abstand die wichtigste Sache im ganzen Leben.”

Als du mit deiner Frau Gabriella zusammenkamst, kanntet ihr euch bereits, oder?

“Ja, wir hatten schon mal was zusammen gehabt. Aber ich war jung und ein Idiot. Ich war damals noch nicht bereit und habe noch ein paar Jahre wild und zügellos gelebt, bis mein Gehirn langsam so gewachsen war, dass ich Verantwortung übernehmen und vernünftig werden wollte. Manche schaffen diese Wende ja nie, aber ich war schließlich bereit, ein erwachsenes Leben zu führen.”

Also war es mit Mitte 40 die richtige Zeit, eine Familie zu gründen?

“Für mich ja. Manche Menschen haben Kinder, wenn sie sehr jung sind, manche, wenn sie sehr alt sind. Ich urteile in dieser Frage über niemanden.”

Ist es hart, auf Tournee lange von zuhause weg zu sein?

“Diese endlosen Touren mach ich nicht mehr. Wir ziehen jetzt zum Beispiel erst im Herbst 2020 los, das ist noch ein ganzes Jahr. Ich hatte zwischen 2008 und 2015 ganz mit Simply Red aufgehört, um mein Kind großziehen zu können. Ich war es leid, mich dem Druck meines Jobs beugen zu müssen, alle zwei Jahre eine Platte zu machen und anderthalb Jahre zu touren. Heute arbeite ich nur noch so viel, wie ich wirklich will.”

Du hast ein paar Alben unter deinem Namen veröffentlicht. Warum hast du Simply Red 2015 mit dem Album ´Big Love´ und einer Tournee wiederbelebt?

“Wegen des 30-jährigen Jubiläums unserer ersten Platte ´Picture Book´. Ich finde, ich habe das genau richtig ausbalanciert. Zuhause bin ich kein bisschen berühmt, sondern nur Dad. Und hier draußen bin ich ein erfolgreicher Musiker. Ich kann mich über nichts beklagen.”

Wer ist für dich der ultimative ´Blue Eyed Soul´-Sänger?

“Frank Sinatra. Frank ist mein Gott. Und vor ihm war schon Bing Crosby da, dann Elvis Presley, okay, der war braunäugig, dann Mick Jagger, Robert Plant. Alle diese Sänger haben ihre Einflüsse vom Blues, von der afrikanisch-amerikanischen Kultur des frühen 20. Jahrhunderts. Auch die Beatles sind ohne Ende von Motown, Little Richard, Bo Diddley beeinflusst. Das vermischten sie mit europäischer Instrumentierung und Folk-Melodien. In meiner eigenen bescheidenen Weise bin ich ein Nachfahre dieser großen Helden. Aber ich wollte nie kopieren, sondern eigenständig sein. Daher war mir wichtig, auf dem neuen Album eigene Songs zu haben. Coverversionen habe ich sowieso schon genug aufgenommen.”

Du hast als Ersatz für Rod Stewart einige Konzerte mit den Faces, dabei unter anderem Ronnie Wood, gespielt. Wie war das?

“Rundherum phantastisch. Für einen Typen aus Manchester, einen armen Kerl aus der Arbeiterklasse, der als Kind die Rolling Stones angehimmelt hat, war es einfach nur herrlich, mit einigen meiner Helden zu arbeiten.”

Liam und Noel Gallagher haben dich beschimpft, weil du angeblich gar nicht aus Manchester bist, sondern in Warrington aufgewachsen bist.

“Schnee von gestern Liam ist jetzt mein Freund geworden. Die Mutter seiner Frau hat früher den Simply-Red-Fanclub geleitet. Er muss jetzt nett zu mir sein, sonst kriegt er Ärger mit seiner Schwiegermutter (lacht).”

Der einige vage politische Song der Platte ist ´Ring That Bell´. Wie laut schrillen die Alarmglocken gerade?

“Wir leben in einer komischen Welt, oder? Ich bin Brite, habe eine schottische Oma und einen irischen Opa, die englische Regierung in Westminster repräsentiert nicht meine Gefühle. Ich bin peinlich berührt von meinem Land. Ich schäme mich für das Theater, das wir rund um den Brexit aufführen. Das ist alles Mist.”

Wie soll das enden?

“Wer weiß, vielleicht fällt der Brexit ja am Ende noch aus. Wir sind hier in Berlin, nebenan stand früher die Mauer. Es ist doch keine Lösung, neue Barrieren zu errichten. Wir sollten wirklich nicht solche rückständigen Idioten sein.”

Aktuelles Album: Blue Eyed Soul (BMG Rights / Warner)

Foto: Dean Chalkley

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