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LOVE A

Realschule, Irokesenschnitt, Liebeslied, Dosenbier & Torschützenkönig

LOVE A

Das man als eine Band aus drei Städten (Trier, Köln & Wuppertal) durchaus urbar aggieren kann, veranschaulichten Love A bereits mit ihren Vorgängeralben ´Eigentlich´ & ´Irgendwie´. Die Titel gehören zu den Lieblingsbegriffen alltäglicher Kommunikation und die Alben handeln darüber, warum diese Wörter so häufig benutzt werden, was sie mit innerer Zerrissenheit zu tun haben und wie dadurch Zustände alltäglichen Wahnsinns gebündelt werden. Mit ´Jagd Und Hund´ begeben sich die Vier auf eine Mission gegen den Kleingeist und die Gewöhnlichkeit, indem sie Zustände nicht als gegeben hinnehmen und sich nicht vom Bauchgefühl durchs Chaos manövrieren lassen. Was das mit Bandnamen, Symbiosen, Melancholie, musikalischer Gattung, Lebensalter, temporalen Abläufen, Politik und Lieblingssongs auf sich hat, beantwortet Sänger Jörkk Mechenbier.

Mit ´Jagd und Hund´ ist endlich euer aktuelles Album auf den Markt gekommen. Dabei handelt es sich immerhin schon um euren dritten Longplayer. Würdet ihr euch selbst noch als Newcomer bezeichnen?

„Nein, das tun wir nicht. Weder wir selbst, noch die Band als solche, noch unser Sound sind, betrachtet man es wörtlich, ´new´ genug dafür. Aber der Begriff Newcomer ist ja auch bloß ein Hilfsmittel der Kulturindustrie, um dem potenziellen Kunden ohne allzu großes Tiefenwissen Bescheid zu geben, wenn eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird. Wie lange es die Band schon gibt, oder wie lange die Mitglieder der Band bereits Musik machen, geht daraus ja eher selten hervor. Die von uns sehr geschätzten ´Keine Zähne Im Maul aber La Paloma pfeifen´ aus Kiel wurden neulich auf Intro.de als ´die ältesten Newcomer der Welt´ umschrieben. Das fand ich witzig – und es trifft die Sache ganz gut.“

Kurz und knapp: Welche drei Eigenschaften werden eurem aktuellen Album am gerechtesten?

„Kalt, düster und überbewertet.“

Wie würdet du eure Musik selbst bezeichnen? Um Schubladendenken vorzubeugen wurde schon ´Wave & Indierock mit Punkroots´ als Begrifflichkeit fallen gelassen. Vielleicht kannst du das genauer definieren?

"Die Sache mit den Schubladen überlassen wir gerne den Möbelhäusern und der Musikpresse – und das meine ich gar nicht böse, aber diese beiden Branchen müssen eben damit hantieren. Wir müssen das auch, so wie jetzt gerade, aber wir müssen weder Bierernst noch wahrheitsgemäß darauf antworten. Und dann ist es nun mal so, dass wir oft komisch angeschaut werden, wenn wir immer noch den Terminus Punk, oder der Texte wegen sogar Deutschpunk benutzen. Das geschieht natürlich mit einem Zwinkern und dient am Ende nur als Hinweis auf unsere Herkunft, hilft aber nicht unbedingt, uns musikalisch zu verorten. Was nicht bedeutet, dass wir uns nicht als Punks verstehen. Was wir machen ist eben das, was aus dem Deutschpunk von vier Jungs geworden ist, die erstens keine Jungs mehr sind und zweitens allesamt Musik in den verschiedensten Ausformungen lieben und hören und sich deswegen nicht mehr von Genre-Dogmen limitieren oder an die Leine legen lassen wollen. Nur eben mit Irokesenschnitt und Dosenbier – im Herzen zumindest.“

Welche Rolle spielt eure Herkunft für eure Musik und für euch als Band?

„Es kommt immer wieder vor, dass tolle Bands aus dem Nichts (hier: Husum, Großenkneten, Gimbweiler usw.) kommen, aber ich glaube nicht, dass Bands deswegen toll sind, weil sie einen besonders provinziellen - oder anders herum - einen besonders urbanen Ursprung haben. Es gibt da viele verschiedene Erklärungsversuche, z.B: ´Wir mussten uns immer besonders anstrengen, um aus unserem Dorf auszubrechen und außerhalb wahr genommen und ernst genommen zu werden!´ oder ´Wir hatten es immer schwer, gegen die vielen anderen, guten Bands in unserer Stadt und mussten uns besonders viel Mühe geben!´ Aber diese Erklärungen funktionieren, wie man sieht, immer in beide Richtungen. Also nicht. Zu einem kleinen Teil spielt dann vielleicht noch ein regionaler Humor, oder grundlegende Mentalitäten bestimmter Regionen in gewisser Weise eine Rolle, aber da es sich dabei auch meistens nur um Klischees handelt, kann man das auch getrost vernachlässigen. Der subkulturelle Kontext, mit dem man groß geworden ist und die stilistische Herkunft hingegen, die spielt sicherlich eine riesengroße Rolle. Der viel besungene DIY Ethos in der Punk/HC-Szene (aus der wir alle mehr oder weniger stammen), aber auch in vielen anderen Genre-Szenen, ist maßgeblich daran Schuld, dass unsereins heutzutage in einer Band spielt. Ich für meinen Teil kenne das überhaupt nicht anders. Ich habe schon immer Musik gehört, Konzerte besucht, in Proberäumen rumgehangen und in Bands, na ja, sagen wir: mitgewirkt. Wäre mir das Bier, die Mädchen und ein gewisses, nicht unbedingt der Norm entsprechendes, politisches Bewusstsein nicht dazwischen gekommen und wäre ich nicht sowieso schon immer zu faul und zu fett gewesen, hätte ich heute vielleicht auch einen richtigen Beruf - und wäre wohl auch noch immer Handballer. Und wir verstehen uns ja noch immer nicht in erster Linie (oder teilweise sogar gar nicht) als Musiker, die sich entschlossen haben, ihrem Berufsstand alle Ehre zu machen und/oder sogar davon zu leben, sondern sind Punker, die eine Band gegründet haben. Wir wollten Krach machen, unsere Meinung sagen, die Regierung stürzen, nichts für unser Bier bezahlen müssen und auf die Bühne kacken. Und auch wenn es uns in unserem hohen Alter noch überwiegend um Freibier und Spaß geht und man unseren Texten sicherlich immer eine gewisse Unzufriedenheit den bestehenden Umständen gegenüber anmerken wird, so ist es uns heute dann doch wichtiger, wenn auch nur in ganz seltenen Fällen, eine gutes Konzert zu spielen, statt betrunken von der Bühne zu fallen. Wobei ich das nicht negativ verstanden wissen will, da das auch eine sehr schöne Art des Ausdrucks ist.“

Was war der Grund, dass aus dem vollständigen Bandnamen Love Academy das Semi-Akronym Love A wurde?

„Da erst nach einiger Zeit intern herausgekommen ist, dass ich kein Abitur habe, war es den anderen ein wenig peinlich, den Terminus ´Akademie´ auf uns alle angewandt zu wissen. Wenn die Presse das herausbekommen hätte, wären verschiedene Primär-Ziele der Band, wie z.B. ein Gastauftritt bei einer möglichen Neuauflage der wissenschaftlich angehauchten Unterhaltungssendung ´Die Knoff Hoff Show´ sicherlich von vorne herein zum Scheitern verurteilt gewesen.“

Woher kommt die Frische und Energie, aber auch die Melancholie in euren Songs?

„Die Frische kommt von unserem Bassist Pommes, da er ein sehr moderner Mensch mit erst 25 Jahren Leid und Schmerz auf dem Rücken ist und die Melancholie von mir, weil es mich permanent sehr traurig macht, ein tolpatschiger, alter Mann mit Realschulabschluss zu sein.“

Was unterscheidet deiner Meinung nach eure Veröffentlichungen von einander?

„Das Artwork natürlich! Stachel, unser Designer (der eben auch ein bisschen Gitarre bei uns spielt), hat nach dem fahlen grau von ´Eigentlich´ dann bei ´Irgendwie´ ein sehr kontrastreiches Schwarz/Weiß gewählt, damit niemand merkt, dass wir uns eigentlich hinten und vorne immer und mit allem wiederholen. Das kräftige Grau von ´Jagd und Hund´ soll dem Fan jetzt aber wieder den Eindruck vermitteln, dass wir nicht nachgelassen haben, sondern eher back to the roots gehen.“

Welche Rolle spielt das Älterwerden für dich als (Rock-)Musiker?

„Älter werden? Wieso älter werden? Deswegen bin ich doch Rockmusiker geworden! Die werden nicht älter! Nun ja: Wenn ich den Gesprächen im Tourbus lausche, zumindest nach drei Tagen mit den anderen zusammen eingepfercht, habe ich das Gefühl, dass wir nicht nur täglich jünger werden, sondern auch um einiges dümmer. Das geht bei einer 8-tägigen Tour schon mal zurück bis zur analen Phase...Im Ernst: Das spielt eine Rolle, weil man natürlich die Dinge mit zunehmendem Alter anders sieht und bewertet und das alles natürlich auch in die Texte einfließt. Und dass man, gerade in diesem sehr jugendlichen Ding namens Punk, oder eben auch Indie oder wie man es von Fall zu Fall nennen möchte, immerzu das Gefühl hat, den Altersschnitt der Veranstaltung zu sprengen, das ist denke ich auch normal. Ansonsten hat man mit den üblichen Dingen zu kämpfen: Rücken, Sehkraft, Mobilität... Aber das geht ja auch Fußballern und Baggerfahrern so, dazu muss man keine Band haben.“

Für was in deiner musikalischen Laufbahn bist du besonders dankbar?"

„Die gratis Getränke – und direkt danach natürlich für all die tollen Menschen, die man kennenlernen darf. Die Freunde, die man durch die Tätigkeit in diesem gemeinsamen Kosmos über die Jahre gefunden hat. Die Begegnungen. Die Gespräche. Ach, das klingt jetzt sehr Hippie-mäßig. Aber das ist es tatsächlich in erster Linie: Die Menschen. Herrje, habe ich das gerade wirklich gesagt?!“

Wie politisch darf und unpolitsch soll Musik sein?

„Musik darf so politisch sein, wie sie will, sie muss es aber niemals sein. Das kommt ja auf den eigenen Anspruch an. Mancher klammert das ganz aus, andere müssen immer einen Standpunkt (politisch gesehen) einnehmen in ihren Texten. Bei mir ist es mal so und mal so. Ich bin ein politischer Mensch, aber dieser Teil diktiert nicht mein gesamtes Denken und Handeln. Dadurch kommt es manchmal sehr deutlich zum Vorschein und manchmal eben nicht, oder eben eher auf einer persönlichen Basis... Denn alles kann irgendwie politisch sein. Auch ein Liebeslied.“

Wie schafft ihr es, dass Text und Musik eine Symbiose eingehen?

„Wenn das so ist, freuen wir uns natürlich. Wie es dazu kommt, kann ich dir aber nicht sagen. Wir „machen“ ja einfach. Immer. Der bereits oft beschriebene, chaotische Prozess des Schreibens eines Love A-Songs eben. Die Jungs spielen was, mich beschäftigt irgendwas, oder die Musik regt eine gewisse Stimmung in mir und dann sprudelt das so raus. Hinterher ist es dann fertig und keiner weiß, wie es dazu kam. Das ist, als kämst du vollkommen betrunken nach Hause, kochst was unfassbar geiles, wirst morgens wach, hast keinerlei Erinnerung an die letzte Nacht, aber es steht etwas sehr, sehr leckeres zu Essen auf dem Tisch. It´s Magic!“

Feilt Ihr sehr lang an den Texten oder an bestimmten Zeilen und was ist der Grund dafür

„Ich nehme mir seit drei Alben vor, beim nächsten Mal auf jeden Fall ein wenig mehr Zeit zu investieren. Klappt nicht. Nie. Mittlerweile deklariere ich diese gehetzte, spontane Entstehung meiner Texte als Stilmittel, weil die Wahrheit mir zu peinlich ist und einem das sowieso niemand glaubt... Funktioniert auch ganz gut. Also kurz und knapp: Nein, gefeilt wird bei uns nur an den Frisuren.

Wie liefen die Arbeiten und Aufnahmen zum nunmehr dritten Album - habt ihr dabei bestimmte Abläufe - gab es einen strikten Zeitplan zu beachten?

„Klar, aber das ist ja nichts Neues... Und was heißt strikt? Wir buchen eben einen gewissen Zeitraum, in dem wir uns irgendwo mit unserem Überproducer Robert Whiteley und unserem Technik-Wizard Boris Thomé und jeder Menge Kabel, Mikrofone und Technik-Kram (von dem ich nicht die geringste Ahnung habe) einsperren, drücken auf Record und spielen so lange Songs ein, bis das Geld alle ist. Dann packt Rob sofort seine Koffer und fliegt wieder nach Hause nach Liverpool. Einige Wochen später fliegen dann zwei von uns nach Liverpool, essen drei Tage lang ungesundes und frittiertes Zeug und nerven Rob mit unseren eigenen Vorstellungen des Sounds, den das Ganze am Ende haben soll. Das Meiste setzt er dann auch um. Bisher funktioniert es ja.“

Gibt es so etwas wie ein Lieblingslied? Ein bestimmter Song auf dem Album, mit dem du besonders viel verbindest? Oder hältst du es für schwierig ein Lied hervorzuheben?

„Eine Mutter liebt ihre Kinder alle gleich viel. Allerdings sind manche Kinder Torschützenkönig ihrer Mannschaft und andere haben eine 6 in Mathe. Mein Lieblingssohn ist ´Lose Your Illusion´, der Opener von ´Jagd und Hund´.“

Im Rahmen der Albumveröffentlichung geht ihr selbstverständlich auch auf Tour. Worauf freut ihr euch im Hinblick darauf am meisten und was darf die Zuhörerschaft erwarten?

„Ich freue mich am meisten auf die Freigetränke, zwischenmenschliche Begegnungen und landschaftliche Besonderheiten und: Die Freigetränke! Die Zuhörerschaft darf erwarten, dass wir älter geworden sind und im Vorfeld wie immer nicht im geringsten darüber nachdenken, was sie von uns erwarten könnten...“

Aktuelles Album: Jagd und Hund (Rookie / Cargo)



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