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POHLMANN

Spielerisch leicht

POHLMANN

Ein wenig selbstvergessen spielen, das ist Pohlmanns Stärke. Da ist er ganz bei sich. „Wenn jetzt Sommer wär“, ist ein aussagekräftiges Zeugnis dieses Spiels. Doch das Lied stammt von 2006. Danach hat er sich live den Arsch abgespielt. Und dabei selbstverständlich weiter munter Lieder geschrieben. Mehr als genug für eine neue Platte. Die gab es auch. Na ja, fast hätte es eine gegeben. Doch da erzählt Pohlmann gerne die ganze Geschichte. Und die führt letztendlich dazu, dass jetzt doch ein Album mit dem Titel „Der König der Straßen“ beim Plattenhändler steht.

Der Holzweg

Im üblichen Abstand zwischen den Platten hat Pohlmann vor zweieinhalb Jahren mit seiner Band angefangen, im Studio neue Titel einzuspielen.

„Ich wollte unbedingt wieder ein Produkt“, geht er mit Feuereifer zur Sache, „nachdem die ersten Lieder eingespielt waren, fing die Plattenfirma an, an den ersten Aufnahmen rumzumäkeln. In ihren Ohren klang das genau so, wie die ersten beiden CDs, die 2006er ´Zwischen Heimweh und Fernsucht´ oder die 2007er ´Fliegende Fische´.“

Pohlmann will aber die überwältigenden Live-Erfahrungen gemeinsam mit seiner Band auch auf CD spürbar werden lassen.

„Dafür haben wir vier lange Wochen wie die Tiere geackert“, plaudert Pohlmann weiter, „doch nach Auffassung meines Umfeldes sollte alles anders klingen. Wir haben dann Tage über Tage damit zugebracht, darüber zu diskutieren, was denn nun anders wohl bedeuten könnte. So entsteht nach und nach ein Druck, der zwangsläufig Kreativität tötet. Es wurde dann an den Stücken ohne Ende rumgefriemelt. Und es klang auch schön. Aber es war eine unnahbare Schönheit. Eine leblose. Nur ich konnte mich da nicht mehr wieder finden. Ich habe alles hingeschmissen und bin erstmal nach Bali.“



Die Erleuchtung

Natürlich kann sich Pohlmann dort zwar ein wenig entspannen und Abstand gewinnen. Aber die Musik und sein Plattenanliegen, das rumort weiter in seinem Kopf herum. Und wie so oft ist es der Zufall, der die Erleuchtung bringt.

„Eins war klar“, so Pohlmanns gewonnene fernöstliche Erkenntnis, „ich musste neues Feuer entwickeln. Neuen Pioniergeist. Und ich suchte jemanden, der den alten und natürlich auch den vielen neu geschriebenen Stücken, eine andere kreative Richtung geben konnte. Kaum zurück, lief mir Clueso über den Weg und hat mir quasi seinen Produzenten geschenkt. Ein Geschenk war es wahrlich.“

Der Produzentenwechsel hin zu Ralf Mayer änderte alles. Und das zusätzlich noch gravierend.

„Es sind zwar immer noch drei der Lieder auf dem Album ‚König der Straßen’, die damals fertig aufgenommen und produziert waren“, erzählt Pohlmann weiter, „aber ob man sie unmittelbar wieder erkennen würde, bezweifle ich.“

Denn unter Ralf Mayers Aegide mussten bei den ausgewählten Stücken der ersten Studiosession viele, viele Spuren weichen.

„Er hat die Stücke seziert bis auf die Knochen“, erinnert sich Pohlmann. Aber nicht nur neue Produzentenfinger waren im Spiel, sondern auch die von Gitarrist Christoph Bernewitz, von Cluesos Saitenfraktion.

„Auf diese Weise kam eine komplett neue Freiheit auf mich zu“, lacht Pohlmann auf, „ich konnte mit diesem Genius an meiner Seite und durch sein zurückgenommenes, akzentuiertes aber so was von verdammt eindringlichem Spiel sogar weg von der Akustikklampfe. Ich spiele sie auf dem Album nur noch begleitend. Und der Druck, den ich in den Stücken aufbauen kann, ist dennoch deutlich größer als vorher.“



Der Gegenentwurf

Mit diesen neuen Leuten im Rücken kann Pohlmann seine Rolle als Singer/Songwriter neu denken.

„´König der Straßen´ sollte nun ein Gegenentwurf zu ´Wenn jetzt Sommer wär´ werden. Ich wollte weniger und gleichzeitig sehr viel mehr. Gut, ich wollte ja nichts anderes werden, als das was ich bin. Aber auf jeden Fall wollte weiter an das herankommen, was ich sein kann.“

Und das erreichen Pohlmann und sein Produzent durch Besinnung. Besinnung auf die Essenz der Stücke.

„Oft sind es Demoversionen, aufgenommen mit einem Mikro in der Hand und vor zwei Boxen stehend, die wir zum Schluss verarbeitet haben“, resümiert Pohlmann, „die Gitarre klingt in diesen Versionen am leichtesten und am charmantesten. Das erklärt sich aus dem Schaffensmoment. Der war da so unvorbelastet. Fast unbewusst. Und nahezu kindlich unschuldig.“

Aber sind es nicht genau diese Urmomente der Erfindung, die eine unvergleichliche Intimität haben. Die den Hörer ganz nah an den Künstler rücken lassen?

Das spielerisch leicht und unschuldig nicht gleich kraftlos ist, dass beweist Pohlmann über die gesamte CD hinweg. Dort lässt er rohe Kräfte sinnvoll walten.

„Der Sound ist dabei teilweise nicht so super. Aber scheiß auf den Sound. Ich wollte exakt den Klang dieses nie wiederkehrenden Moments.“

Diese Produktion weist auch eine unglaubliche Dynamik auf. Richtig verstandene Dynamik wohlgemerkt. Nicht die, die sich der „Alle-Regler-bis-zum-Anschlag-Philosophie“ unterordnet. Dreh- und Angelpunkt für Pohlmanns Songwriterpop aber bilden die Melodien.

„Wir erreichen auf der Scheibe wie aus dem Nichts eine Größe, die wir vorher einfach nicht hatten“, fügt Pohlmann an, „die Platte ist richtig popgroß.”



Kein Missionar

Auf seinem dritten Album offenbart Pohlmann einmal mehr sein erzählerisches Talent. Da er zudem gerne unterwegs ist, lässt er sich als Wanderdichter durchaus in die Tradition eines Woody Guthrie oder eines Jack Kerouac stellen. Genauso wie sie trägt Pohlmann sein Zuhause in sich.

„Durch ständiges Erzählen von Geschichten in immer neuen Begegnungen, vergisst du auch dein eigenes Leben nicht“, gibt er den Weltgewandten, „ich destilliere dabei Dramen, die jeder erleben kann. Eben zu der Zeit, wo er sie dann erlebt. Und beim aktuellen Durchleben, da kann ein Stück, das ein solches Drama zum Thema hat, schon mal ganz hilfreich sein. Die Herausforderung besteht darin, das, was man selbst erlebt hat, so zu schreiben, dass es jeder andere nachvollziehen kann.“

Zum ersten Mal hat Pohlmann Texte zusammen mit anderen Leuten verfasst, wobei er auch in diesen Zeilen mit seiner eigenen Historie schwer am Ball bleibt.

„Doch ganz aus der Texterei raushalten, das geht nicht“, bekennt er, „ich bin auch besser, wenn ich meine Songs spiele. Ich muss da einfach mit drin stecken.“

Besserwisserei, eindeutige Botschaften oder Missionarisches, sind Pohlmanns Sache nicht. Doch einmal erhebt er den Zeigefinger, im Stück ´Unten im Meer´.

„Ich veröffentliche dieses Lied nicht aus aktuellem Anlass. Dieser Anlass, dort vor Amerika, der ist alles andere als aktuell. Shell verseucht das Wasser in afrikanischen Flüssen schon seit sehr langer Zeit. Und das Problem der Überfischung, die generelle Zerstörung der Meere ist wohl mehr als ein dringliches Thema. Doch dabei erhebe ich den besagten Zeigefinger auch gegen mich.“

Es tut der aktuell vorgelegten CD „König der Straßen“ hörbar gut, dass das musikalische Kompetenzteam gewechselt hat. Nicht nur voll von neuem Mut und Selbstvertrauen ist das wunderbare Album, sondern es hat auch eine Popattitüde. Eine, die einem Singer-/Songwriter, wie Pohlmann absolut gut zu Gesichte steht. Dabei ist er niemals kitschig, aber immer authentisch. Seine Nachdenklichkeit ist deshalb so wirksam, weil sie mit der nötigen Portion Selbstironie und einem ordentlichen Schalk im Nacken daherkommt.

Aktuelles Album: König der Straßen (Virgin/EMI)

Foto: Ben Wolf

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