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SOPHIE HUNGER

Es macht keinen Sinn, vor sich selber wegzulaufen.

SOPHIE HUNGER

Von Musik hat sie erstmal die Schnauze voll. Leer gespielt hat sie sich selber. Zu lange hat die letzte Tournee gedauert, die eigentlich eine einzige war, die sich im Prinzip über sechs Jahre erstreckte. Nur weg von hier. Und weit weg von der Musik. Sophie Hunger macht sich nach Kalifornien auf - ohne Rückflugticket. Heute sind es eineinhalb Jahre her, dass sie ihr letztes Konzert gespielt hat. Und doch steht mit ´Supermoon´ eine neue Platte in den Regalen der Händler. So richtig untätig kann Sophie Hunger zwischendrin dann doch nicht gewesen sein.

Musiker pflastern ihren Weg

Kalifornien bedeutet zunächst einmal San Francisco. Bedeutet, sich treiben lassen. Bedeutet, ohne Instrument zu sein. Doch im Gegensatz den amerikanischen Städten New York oder Los Angeles ist San Francisco keine Stadt für die Einsamkeit.

„In San Francisco gehst in eine Kneipe und fünf Minuten später redest du mit zehn Leuten“, so erinnert sich auch Sophie Hunger, „und wie der Teufel oder wer auch immer es will, gerate ich dabei in eine Clique von Punkmusikern. Und schon war die Musik wieder an meiner Seite. Die Musiker haben mir Studios gezeigt. Ich konnte einfach nicht umhin, dann dort auch rein zu gehen und sie auszuprobieren. Und schon hatte ich wieder ein Instrument in der Hand und habe sogar gleich aufgenommen. Es ging echt so flutsch, flutsch, flutsch.“

Und was lernen wir daraus? Dass es offensichtlich keinen Sinn macht, vor sich selber wegzulaufen.

„Ja schon, aber weg gehen musste ich schon“, bekennt sich die Künstlerin klar und offensiv zu ihrem Reisegen, „zuhause wäre mir nichts eingefallen. Ich hätte zwar auch irgendetwas gemacht, das Haus renoviert oder was weiß ich. Aber definitiv keine Musik.“

Außerdem scheint es zwischen Musikerseelen ein Erkennungszeichen zu geben, eine eigenartige Anziehungskraft zu geben.

„Unbedingt! Überdies sind Musiker die lustigsten Menschen, die es gibt“, erklärt Sophie Hunger die Musikerwelt, „wenn ich jetzt beispielsweise in die Hölle käme und dann wäre da ein Tisch mit Schauspielern, einer mit Malern, einer mit Tänzern und dann noch einer mit Musikern. Ich würde sofort zu den Musikern gehen. Musiker sind immer näher an dem, was sie tun. Auch wenn ein Musiker keine Platten verkauft, kann er immer noch hier, gleich um die Ecke stehen und spielen. Solange er noch ein Instrument hat, ist er frei. Er braucht kein Drumrum, wie etwa Schauspieler ein Theater brauchen.“



Wie aus der Welt gefallen

Doch zurück nach San Francisco und zu den dortigen Studios, in denen Sophie Hunger sich schnell tummelte. Und zu ihren Aufnahmen; denn die sind zum Teil Bestandteil des aktuellen Albums ´Supermoon´ geworden.

„Das Titelstück habe ich wirklich in einem dortigen Studio aufgenommen und es nahezu so gelassen“, berichtet sie, „schön reduziert und frei atmend. Mit einem wunderbaren Perkussionisten und Vibrafonisten und Streichern des Magik*Magik Orchestras. Ich habe jedoch noch zwei andere Sachen in San Francisco geschrieben, ‚Mad Miles’ und ‚We Are The Living.’ Doch das waren eher Demos, an denen ich später gearbeitet habe.“

Das überaus Atmosphärische in Sophies Hungers Musik, legt nahe, dass sie in einem Studio in eine komplett andere Welt abtaucht.

„Jedes Studio ist eine andere Welt, ja fast ein anderer Planet“, darauf besteht Sophie Hunger, „oft unterirdisch gelegen. Ohne Fenster. Abgeschlossen. Man hat nicht viel Luft. Sitzt stundenlang herum und probiert. Und ernährt sich dabei schlecht. Studioarbeit ist so ein bisschen, wie aus der Welt fallen. Dann steigt man nach einem ganzen Tag Studioarbeit wieder ans Licht und stellt fest, da gibt es ja noch eine andere Welt. Doch man hatte einen zeitlang gar nichts damit zu tun.“

In San Francisco ist Sophie Hungers reise jedoch längst nicht zu Ende. Weiter geht es nach Mexiko und von dort aus ins texanische Austin.

„Ich wollte immer mal nach Austin“, sagt die Sängerin, „ich wusste, dass ist eine Musikerstadt. Aber auch die Gegend faszinierte mich.“

In Austin lebt sie in einer Musikerwohnung.

„Da ich ohne Instrumente unterwegs war, habe ich immer ganz gezielt nach Musikerwohnungen gesucht“, erzählt sie, „in Austin hatte ich eine mit Blick auf den Colorado River. Zwei Wochen lang habe ich dort Lieder geschrieben und mir dabei den Fluss angeschaut. ‚Spaghetti mit Spinat’, ‚Weltmeister’ und ‚Love Is Not The Answer’ sind dabei entstanden.“

Aufs Album hat es nur der letztere Titel geschafft.



In verschiedenen Sprachen singen

Von Sophie Hunger ist ja bekannt, dass sie ihre Lieder in verschiedenen Sprachen zu Gehör bringt: Englisch, Deutsch, Schwyzerdütsch oder Französisch. Wie aber wird diese Wahl vorgenommen?

„Ganz besonders bei der Arbeit an diesem Album begannen die Stücke mit einem Satz“, reflektiert die Wahlberlinerin, „an den ich denken musste, den ich vor mich hinsagte und der ist in einer der von mir verwendeten Sprache. Welche Sprache es ist, das ist keine bewusste Entscheidung, das passiert einfach. Anschließend baue ich intuitiv das Lied drum rum.“

Solch ein Satz, der sich einmal in den Gehirnwindungen von Sophie Hunger eingenistet, dann muss sie etwas damit tun.

„So ein Satz ist eine Initialzündung für etwas, das ich zu Ende bringen muss“, gibt sie zu Protokoll, „sonst bin ich andauernd unruhig. Ich improvisiere mit dem oder den Textfetzen. Ich muss das sich abzeichnende Gebilde zum Leben erwecken. Dazu braucht es Musik. Am Ende ist es etwas, was außerhalb von mir existiert. Dann habe ich wieder Ruhe.“

Ein sicheres Indiz für Sophie Hunger, dass ein Lied fertig ist, ist der Wunsch, sich hinzusetzen und es voller Inbrunst in die Welt hinaus zu schmettern. Anders ist es natürlich, wenn es sich um Coverversionen handelt; denn auch dafür ist Sophie Hunger immer wieder zu haben. „Aber einen Coverversion funktioniert nur, wenn ich sie zu meinem eigenen Lied machen kann“, gibt sie zu bedenken. Auf ´Supermoon´ findet sich das wunderschöne ´La Chanson d’Helene´. Im Original singen es Romy Schneider und Michel Piccoli. Es stammt aus dem Film ´Les choses de la vie´ (´Die Dinge des Lebens´) und weist noch einen interessante Besonderheit auf, den Part, den im Original Michel Piccoli spricht, wird hier von der französischen Fußballlegende Éric Cantona vorgetragen. Lässiger und gleichzeitig voll von emotionaler Tiefe war dieses berühmte französische Chanson nie zu hören.



Zufällige Instrumente prägen den Klang

Nicht nur die Sprachen, in denen die Künstlerin singt, sind vielfältig, die musikalischen Akzente, die sie setzt sind es auch. Die Unterschiedlichkeit hat natürlich auch wieder ihre gründe. Auf ´Supermoon´ ganz besondere. „Wie gesagt, bin ich ohne Instrumente gereist und habe dann in den Musikerwohnungen mit den Instrumenten gearbeitet, die dort vorhanden waren.“

Eins der Lieder, das diesen Instrumentenstempel trägt ist das bereist erwähnte ´Love Is Not The Answer´.

„Das ist eindeutig ein Gretschlied“, erklärt Sophie Hunger, „in Austin hing eine Gretschgitarre an der Wand und die provozierte einfach ein bestimmtes Klanggewand. Eins, das eine Fendergitarre nicht hingekriegt hätte.“

Manche Lieder passen und sind sofort stimmig andere haben, andere wieder haben eine lange, ganz eigene Geschichte. ´Mad Miles´ ist das Paradebeispiel für solch ein geschichtsträchtiges Lied.

„Ich hatte es bereits dreimal aufgenommen und die letzte Version war auch bereits fertig gemischt“, erinnert sich Sophie Hunger, „aber so richtig zufrieden war ich nicht. Es fehlte etwas. Dann habe ich in einem Berliner Studio Musik für einen Film eingespielt. Und in diesem Studio stand ein Steinway-Flügel. So die ganz große Ausführung, mit 274 Zentimeter Länge. Die tiefen Bässe dieses Flügels waren einfach umwerfend. Und sie waren genau das, was der Elektrobasslinie noch fehlte. Ich beschwatzte erst den Techniker, diese Klänge aufzunehmen, dann holte ich den kanadischen Mischer aus dem Bett und habe ihn bekniet, das ganze noch mal neu zu mischen. Jetzt ist es absolut so, wie ich es wollte.“

Der nächste Schritt, der nun bevorsteht, ist das Fitmachen der neuen Lieder für die Bühne.

„Dabei orientieren wir uns nicht unbedingt an dem, was auf der Platte zu hören ist“, sagt die Künstlerin, „Plattenaufnahmen und die Bühnensituation sind für mich zwei völlig verschiedene Kunstformen.“

Deshalb wird jetzt mit der Band spielerisch und intuitiv geprobt. Und so, wie sich die Stücke dann am besten anfühlen, s kommen sie auf die Bühne.

„Schließlich geht ja wohl kaum einer ins Konzert, damit ich ihm meine neueste Platte vorspiele?“, fragt Sophie zum Schluss eher rhetorisch.

Aktuelles Album: Supermoon (Two Gentle Men / Caroline / Universal)

Foto: Caroline

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