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SWISS + DIE ANDERN

Dem Punk ein neues Gesicht geben

SWISS + DIE ANDERN

Mit seiner EP ´Schwarz Rot Braun´ hat Swiss schon für mächtig Furore gesorgt. Beim Reeperbahn Festival in Hamburg hat er mit seinem Konzert auf einer Barkasse das Boot ganz schön zum Schwanken gebracht. So massiv haben seine Klänge die mitreisenden Fans zum Toben, Hüpfen und zum Mitgröhlen animiert. Gerade ist Swiss als Vorband der Comedy-Metaller J.B.O. unterwegs und schafft es, auch deren Publikum wunderbar aufzumischen. All’ diese Aktionen von Swiss haben dazu beigetragen, eine Sehnsucht auf sein zweites komplettes Album zu wecken. Bereits 2008 veröffentlicht Swiss die CD ´Es kann nur einer befehlen´, dessen Ruf sich aber kaum über Norddeutschland hinaus verbreitete. Mit ´Große Freiheit´ liegt nun sein aktueller Wurf vor. Und er hat nicht enttäuscht, sondern eher kreativ noch einen drauf gelegt.

Keine Beats aus der Retorte

Aber warum funktioniert das so gut und in so unterschiedlichen Zusammenhängen, wenn Swiss sich die Seele aus dem Hals rockt und seine Band ihn dabei treibt, als wäre eine wild gewordene Herde von 100.000 Büffeln hinter ihnen her?

„Ach, ich bin einfach ehrlich, wenn ich auf die Bühne gehe“, stellt Swiss fest, „das bedeutet aber auch, dass ich nicht mit Beats aus der Retorte antrete. Und das, obwohl ich mich auch ganz klar auf meine Hip Hop-Wurzeln beziehe. Alle meine Klänge werden von Musikern aus Fleisch und Blut abgeliefert.“

Und die schaffen sich da zusätzlich so richtig rein, da fließt der Schweiß in Strömen und dabei macht der DJ an seinen Plattentellern keine Ausnahme. Wen man Swiss so beim Abrackern zuschaut, die Musik auf sich wirken lässt und dabei registriert, wie auch seine Rappervergangenheit immer wieder durchschlägt und die des Punkers ebenso, dann entdeckt man zwischendrin noch eine weitere Seilschaft, die mit Rio Reiser.

„Wenn es um die Poesie geht und auch um die einfachen, aber starken Bilder in meinen Lieder, dann ist es das Erbe Rio Reisers, dass ich mir dabei ständig ins Gedächtnis rufe“, gesteht Swiss. Nimmt man jetzt alles drei Einflusssphären zusammen und betrachtet sie von der Historie her, sind sie sich von ihrer Haltung her gar nicht mal so unähnlich. Swiss filtert die Anti-Haltung heraus. Das Laute. Das Dreckige. Das Andere. Das Radikale. Das Einfache und auch darin findet Swiss, wie bereits angesprochen das Poetische.

„Die Betrachtung all’ dessen brachte mich zu dem Punkt, an dem ich bemerkte, dass ich Rapper sein kann, ohne den Punker zu verraten und gleichzeitig poetische Texte zu schreiben“, lässt der Sänger verlauten, „da der Punk einen Tick überwiegt, spreche ich immer davon, dem Punk ein neues Gesicht zu geben.“



Nie in Musikerkreisen rumgehangen

Swiss stammt aus einem Künstlerelternhaus, der Vater ist Schweizer (!) und Schauspieler, die Mutter Theatermacherin. In ihren Plattenschränken findet Swiss neben Rio Reiser auch Alben der Einstürzenden Neubauten oder der Goldenen Zitronen.

„Die hörte ich zwar, aber damals nur mit einem halben Ohr“, erzählt Swiss, „denn ich war ein Fußballkind und spielte gar nicht mal so untalentiert im Verein. Aber als ich ins Alter der Parties und des Rauchens kam, da wurde der Ballsport absolute Nebensache. Auf solch einer Party entdeckte ich auch die Musik von Eminem. Mit diesem Underdog, da konnte ich mich identifizieren. Und mit seiner Musik auch.“

Dennoch wusste Swiss nicht so genau, wie er denn mit dieser Faszination umzugehen habe. In Musikerkreisen hat er nämlich nie rumgehangen. Als erstes begegnet er dann irgendwie einem Schlagzeuger, mit der seine Rapgeschichten vorträgt.

„Ich wollte einfach nie allein auf die Bühne“, gesteht sich Swiss ein, „und kennst du erstmal einen Musiker, kennt der gleich einen Sack voll davon. Es kam erst der Bassist in die band, dann der Gitarrist und als letztes der DJ.“

Plötzlich hat Swiss eine komplette Band im Rücken und die besteht aus Musikern, die nicht den begrenzten Genreblick haben. Ihnen geht es um nichts, als um Musik. Es kommt zusammen, was zusammen gehört: die Wortgewalt des Hip Hop, die Reduktion des Punk und eine gewisse Selbstironie, die beiden Musickrichtungen sonst eher fremd ist. Dabei fühlt sich Swiss ein bisschen so, wie das kleine Kind, das voller Inbrunst eine riesige Sandburg baut und im Eifer des Gefechtes gar nicht merkt, was es da tut. Ist sie dann fertig, tritt es zurück und lässt ein lautes „Wow“ vernehmen. Das von Swiss und seiner Begeisterung war so laut, dass es wohl in ganz Hamburg zu vernehmen war.



Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit

Das große erzählerische Talent hat Swiss wohl von seiner Mutter geerbt.

„Ich war als Kind so ein richtig gieriger Geschichtenfresser“, erinnert sich Swiss, „meine Mutter konnte mir gar nicht oft genug und lang genug vorlesen. Und mit ihren Theaterinszenierungen, unter anderem auf Kampnagel, dem Hamburger Veranstaltungsort für zeitgenössische darstellende Kunst, hat sie auch gezeigt, was eine gut erzählte Geschichte für eine immense Wirkung haben kann.“

Und genau, wie seine Mutter nicht Dramen der Perfektion auf die Bühne bringt, erzählt auch Swiss das Nichtperfekte. Erzählen ist dabei das falsche Wort, Swiss zelebriert dies sogar. Nicht umsonst heißt sein Plattenlabel auch Missglückte Welt. Diese spezielle Welt ist auch Swiss’ Sonne, um die seine Lieder, wie Planeten kreisen.

„Das einzige, was jede Geschichte auszeichnen muss, sind Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit“, zeigt der Hamburger Sänger auf. Der Labelname legt es schon nahe, die auf Hochglanz polierte Glitzerfassade des Lebens ist die Sache von Swiss nicht.

„Ich kann nicht anders, ich muss in diese Fassade reintreten und dann durch dieses Loch hindurchschauen“, gibt sich Swiss kompromisslos, „ich thematisiere das Dahinter, die depressiven Wesen, ihre Unsicherheiten, Komplexe und Paranoia. Aber auch von Utopien; denn die braucht auch eine missglückte Welt. An irgendetwas muss man sich ja festhalten können. und sei es der Blick in die Zukunft. Auch dann, wenn man weiß, dass am Ende der Untergang steht.“



Die ganz große Freiheit

Seine Themen findet er überall, auch in seiner unmittelbaren Umgebung. So handelt beispielsweise das Lied ´Fick Dich´ von der prekären Situation eines Musikers, wie Swiss einer ist.

„Und diese prekäre Situation als solche ist mir auch aus meiner Zeit zuhause nur zu gut bekannt“, blickt er zurück, „stets jonglierten meine Eltern mit dem Problem, dass noch zu viel Monat für das vorhandene Geld zu bewältigen war.“

Wunderschön ist das Stück ´Claire´. Darin träumt der Punk aus dem angeranzten Hamburger Schanzenviertel vom Mädchen aus dem schicken Villenvorort Blankenese.

„Was fällt mir Vollidiot ein zu glauben/ich hätt’ nen Schlag bei ner Frau wie dir?“, heißt es da. Aber Swiss zeigt in diesem Stück auch, das Träumen doch erlaubt sein darf. Und der Traum geht so: „Claire, du wirst noch seh’n/irgendwann werd’ ich auf großen Bühnen steh’n/und dann, liebe Claire, dann bin ich wer und populär/und das sage ich dir, Claire/ irgendwann tut es dir leid und dann rufst du mich an.“

Um ihr dann noch ein „Claire, ich liebe dich“ hinterher zu rufen. Auch Punker, die dem Genre ein neues Gesicht verleihen wollen, dürfen, träumen und lieben. Ein weiteres spannendes Lied entsteht durch die Zusammenarbeit mit Neue Deutsche Welle-Dunkelveteran Joachim Witt. Auch hier schlägt SWISS’ romantische Ader voll durch, es ist ein Stück über die Freundschaft.

„Nicht nur ein Stück, es ist eine Hymne“, sinniert er, „Joachim Witt kenne ich über unseren gemeinsamen Verleger Eric Burton, der das Lied ‚Für dich kämpfen’ hörte und das Duett vorschlug, Und es hat Reisenspaß gemacht.“



Dieser kurze Blick auf die einzelnen Swiss-Stücke, wie vielfältig auch jemand sein kann, der wütend ist und es genau so rauslässt, der aber seine sanftere Seite nicht verleugnet. Packende Nummern sind es allemal und alle tragen den Virus in sich, der gleich bei der ersten Note überspringt und ein Mitgrölen unumgänglich macht.

Aktuelles Album: Große Freiheit (Missglückte Welt/Soulfood) VÖ: 09.01.2015

Foto: Missglückte Welt


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