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BLACKMAIL

Musikalisch grenzenlos

BLACKMAIL

Kurz vor Weihnachten 2008 war in den einschlägigen Medien zu lesen: „Blackmail Sänger Aydo Abay steigt aufgrund interner Differenzen aus.“ Die damals noch ausstehenden Konzerttermine der laufenden Tour wurden abgesagt. Und das nach 15 Jahren Blackmail. Und dann schreibt Ingo Donot auch noch folgende Zeilen: „Wenn Synchronsprecher sterben, stirbt auch ein Teil des Hauptdarstellers. Das weiß jeder Cineast. Austauschen lässt sich eine markige Charakterstimme nicht so leicht, ohne das Gesamtbild zu verwässern oder schlimmstenfalls die Fans zu verprellen. Wenn allerdings gleich einer der gefeierten Hauptdarsteller selbst wegbricht und fortan ein riesiges schwarzes Loch im Drehbuch klafft, kriegen auch gestandene Erfolgsregisseure mitunter kalte Füße.“

Wiedererlangte Freiheit

Zu dieser Sorte Regisseure gehört Kurt Ebelhäuser, Gitarrist und einer der denkenden Köpfe hinter Blackmail, offenbar nicht. Sein Bruder Carlos Ebelhäuser, der Bassmann der Band ebenso wenig.

„Seit unserer endgültigen Entscheidung, getrennte Wege zu gehen, haben wir eine gewisse Freiheit und auch eine unbekümmerte Frische wiedererlangt“, stellt Kurt Ebelhäuser gleich zu Beginn des Gespräches klar, „und eins stand unmittelbar nach der Trennung fest: Die Band existiert weiter, weil wir es immer noch so sehr lieben, in dieser Band zu spielen! Es war ja auch keine Trennung von Blackmail, lediglich eine von Aydo Abay.“

Eine Pause musste dennoch her. Eine spürbare. Schließlich stammt das letzte Album „Tempo, Tempo“ aus dem Jahr 2008. In den Jahren der Funkstille rund um Blackmail, brachte Gitarrist Kurt Ebelhäuser mit seinem Nebenprojekt Scumbucket neues Material heraus. Doch da passierte noch mehr.

„Darüber hinaus musste auch mal Zeit für ein paar andere Dinge sein“ erklärt er das Intervall, „ich habe viel produziert, eine Familie gegründet und sogar geheiratet.“

Ein solch vorübergehender Stillstand bringt Ruhe und macht auch schon mal die Birne frei. Frei für tiefere Reflektion. Und die lenkt den Blick auf bisherige Selbstverständlichkeiten.

„Wir haben beispielsweise in den 15 Jahren bis zur Trennung immer gleich gearbeitet. Ohne das jemals in Frage zu stellen.“



Blindes Verständnis

Das die Frage nun gestellt wird, hat natürlich wesentlich mit dem neuen Mann am Mikro zu tun. Mathias Reetz heißt er und hat vorher bei den Ruhrgebietstruppen Junias und The Heart of Horror gewirkt. Mit seiner Band Junias war er früher bereits mit Blackmail auf Tour gewesen. Sein Pfund, mit dem er wuchern kann, ist die Tatsache, dass er neben seinem leidenschaftlichen Gesang auch noch das Gitarrenspiel drauf hat. Perfekt, druckvoll und jugendlich frisch geht er da zu Werke. Auch sind seine Songwriting-Qualitäten unbestritten.

„Mathias Reetz passte so optimal zu Black-mail, dass nach einer kurzen Probe, praktisch von jetzt auf gleich ein blindes Verständnis da war“, erinnert sich Kurt Ebelhäuser an diese Begegnung, „die darauf folgenden Sessions haben wir auch direkt aufgenommen.“

In rekordverdächtigen vier Wochen ist die Platte geschrieben, aufgenommen und gemischt worden. Blackmail haben einen geradezu genialen Blick zurück nach vorn gewagt und dabei, ganz in der eigenen Tradition stehend, sich von niemandem reinreden lassen. Nicht ganz. Simon Jäger hatte als zweiter Produzent seine Finger mit im Spiel. Jedoch nur, um die kreativen Grenzen noch deutlicher zu ignorieren und um Kurt Ebelhäuser mehr Raum und Zeit zu geben, sich wieder auf das unverkopfte Musikmachen als Bandmitglied zu konzentrieren.

„Musikalische Grenzen gab und gibt es für Blackmail nicht. Alles ist möglich, solange es keine Scheiße ist“, betont Kurt Ebelhäuser mit aller Kraft und schiebt mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein nach, „und wenn wir nur vernünftig arbeiten, dann kann es gar keine werden.“

Doch eins hätte die diese Arbeit fast noch torpediert. Kurz vor der heißen Phase der Aufnahmen wird Schlagzeuger Mario Mathias krank. „Doch der einzigartige Fluss des Komponierens und des Spielen war schon so stark, so unaufhaltsam, dass wir Anton Zaslavski, der ansonsten bei Dioramic aus Kaiserslautern für den richtigen Takt sorgt, baten das Schlagzeug einzuspielen“, klärt Kurt Ebelhäuser diese Notiz im Booklet auf.



Live-Test

Obwohl Blackmail bandintern ein absolutes Hoch zu verzeichnen haben, wollte die Band ihren beinharten Fans zunächst auf fünf kleinen Bühnen begegnen.

„Wir mussten uns einfach darauf einstellen, dass das Publikum erst einmal verhalten reagiert“, rechtfertigt Kurt Ebelhäuser diese Maßnahme, „keiner kannte Mathias, keiner kannte bisher die neuen Songs. Doch kam die neue Energie, die wir von der Bühne versprühten sofort und massiv vom Publikum zurück. Mathias Reetz wurde sehr gut aufgenommen. Er macht einen hervorragenden Job und wir sind total glücklich mit ihm.“

Vielleicht ist es auch diesem Glücksgefühl geschuldet, dass „Anima Now!“, das neue Black-mail-Werk, so euphorisch klingt, so wenig düster. Von der dunklen Atmosphäre der Vorgängeralben ist es meilenweit entfernt. Leicht und gelassen, wie man es von Blackmail nicht kannte werden luftig, sphärische Klangwelten erzeugt. Was so eine komplette Restrukturierung alles bewegen kann.

Und da jetzt so viel Energie und Aufbruchsstimmung da ist, haben Blackmail auch gleich noch ein eigenes Label, 45 Records, aus der Taufe gehoben.

„Wir haben unser eigenes Studio, wir produzieren selbst, wie haben unseren ganz eigenen Kopf“, lacht Kurt Ebelhäuser, „da war das eigene Label nur der letzte logische Schritt. Und Blackmail werden nicht die einzige Band darauf bleiben.“

Aktuelles Album: Anima Now! (45 Records / Soulfood)

Foto: Andreas Hornoff

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