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SILVER JEWS

Mach´s gut, Zeitgeist!

SILVER JEWS

Die Geschichte ist durch, oder? Vom einsamen David Berman aus Nashville/Tennessee, der niemals auszog, die Welt zu erobern. Der mit seinen Silver Jews lieber daheim bleibt, liest oder Songs aufnimmt - so wie jetzt: „Lookout Mountain, Lookout Sea“ heißt sein neuestes Meisterwerk und macht es sich zwischen den Stühlen gemütlich. „Alles beim alten also“, erklärt der Macher lapidar. Wir wissen indes, ganz so stimmt das nicht!

Es gibt Gründe genug, mit den Vorurteilen endlich aufzuräumen:

„Viele sehen in mir einen verrückten Waldschrat, der nur ungern Kontakt zur Außenwelt aufnimmt. Möglicherweise war dies ein paar Jahre so“, erklärt David Berman rückblickend und ergänzt, „inzwischen haben sich einige Dinge geändert und ´Lookout Mountain, Lookout Sea´ ist die erste Platte in meiner Karriere, die nicht nach Abschied schmeckt!“

Um Licht ins Dunkel zu bringen: Nach dem 98er Silver Jews-Meilenstein „American Water“ lief so ziemlich alles schief, was schief laufen konnte. Zuerst verkraftete Berman den einsetzenden Erfolg nicht, hielt anschließend dem kommerziellen Druck nicht stand und widmete sich dem Alkohol, seinem einzigen Freund und Helfer.

„Ich würde sagen, zwischen 1999 und 2003 gab es kaum einen Tag, an dem ich ´trocken´ war. Damals ging die gesamte Kohle für Suff und Drogen weg. Ich stand kurz davor, alles hinzuschmeißen!“

Es ist immer wieder erstaunlich, wie offen der schüchterne Songwriter über seine persönlichen Probleme spricht. Nichts scheint ihm zu privat und nur selten wirkt er emotional berührt - selbst bei Themen wie Sucht und Exzess.

„Mit den Silver Jews mache ich seit 1992 Musik und wir haben inzwischen sechs Alben veröffentlicht. Irgendwann sieht man ein: Erzähl den Leuten deine Probleme selbst, sonst bekommen sie die von anderen falsch übermittelt.“

Keine schlechte Taktik, manchmal jedoch mehr als problematisch.

„Ich weigerte mich lange Zeit Konzerte zu spielen und sah keinen Grund auf der Bühne jeden Abend die gleichen Songs zu performen. Ich meine, die Silver Jews sind keine öffentliche Band und verbiegen sich für niemanden!“

Oh doch, als der Druck stieg, gab auch David Berman nach und ließ sich auf die erste Silver Jews-Tournee überhaupt ein:

„Im vergangenen Februar ging es los und schnell registrierten wir: Das ist nichts für uns. Schon toll, aber ich will nicht jeden Abend meine alten Alben hören. Ein Spiel mit dummen Regeln!“

„Einmal habe ich das ganze Konzert über nur neue, unbekannte Stücke gespielt und die Leute echt irritiert. Also ging ich nach einer Stunde von der Bühne, kam zurück und meinte: ´Jetzt kommt ein Lied, das ihr schon kennt!´, alle jubelten und ich spielte den ersten Song des Abends einfach noch einmal.“

Und genau darin liegt die Stärke seines Songwritings: Ein eigenwilliger Humor, der dem Hörer während des Lachens die bittersten Tränen in die Augen treibt und mit einem Gefühl der hoffnungsvollen Leere zurücklässt.

„Lookout Mountain, Lookout Sea“ knüpft freilich nahtlos daran an. Die Silver Jews brillieren als klangtechnisch raumfüllende Breitwand-Folk-Band und hieven ihren Sound auf ein bislang ungeahntes Qualitätslevel.

„Ich glaube ein Pionier zu sein, a pionier of staying home. Nur so funktioniert es: Daheim sitzen, gute Bücher lesen, Songs schreiben und das Wesentliche verfolgen - mich selbst. Eine ungeheure Kraft!“

Man glaubt es ihm gern. Obwohl niemand weiß, ob David Berman wirklich ein Couch-Potato ist oder alle nur an der Nase herumführt.

Bis hierher scheint Zweierlei sicher: Zum einen wurden nach drei Jahren öffentlicher Abstinenz wieder Signale aus dem Hause der Silver Jews vernommen; und andererseits hat sich in der Zwischenzeit etwas Grundlegendes geändert. David Berman ist nicht länger der menschenscheue Einsiedler, für den ihn alle halten. Die Türen zur Außenwelt wurden geöffnet und „Lookout Mountain, Lookout Sea“ besitzt nicht umsonst einen solch eindringlichen Albumtitel.

Hier ist ein Musiker am Werk, der bei der zukünftigen Entwicklung des Folks ein entscheidendes Wort mitzureden haben wird. Ob er dann noch will oder nicht, ist egal!

Aktuelles Album: Lookout Mountain, Lookout Sea (Drag City / Rough Trade)

Foto: Brent Stewart

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