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BLACKMAIL

100 Jahre Gänsehaut

BLACKMAIL

Blackmail können nicht mal eben, so aus dem Handgelenk eine neue Platte machen. Da reicht auch das Argument nicht, das es eigentlich an der Zeit wäre, dies zu tun. „Das Arbeiten an neuem Material geht bei uns nur, wenn wir in der Lage sind, uns in die richtige Stimmung zu versetzen“, erklärt Bassist Carlos Ebelhäuser. Schließlich geht es darum, nachdem sich Blackmail mit ihrem neuen Sänger Mathias Reetz neu erfunden haben, auch auf dem zweiten gemeinsamen Album eine Aussage zu treffen.

Verschwenderisch viel Zeit

Einen Gedanken haben Blackmail als Grundlage für das neue Album schon vorher unabhängig voneinander durch ihre Köpfe bewegt.

„Wir wollten unvorhersehbarer werden und überraschender“, sagt Carlos Ebelhäuser. Der Luxus des eigenen Studios ermöglicht es, dass sich die Truppe einfach ins Studio einschließt und zunächst mal gar keine Musik macht.

„Es klingt verrückt, ich weiß“, lacht der Bassist, „aber wir sitzen anfangs nur da und schauen Fernsehen: Dokumentationen, wie etwa „127 Hours“- die Geschichte des Bergsteigers Aron Ralston, der für mehr als fünf Tage von einem Stein eingeklemmt war und sich selbst mit einem Schweizer Messer den Arm amputierte, oder irgendwelche Serien. Zwei bis drei Tage passierte dann gar nichts. Und dann war es plötzlich so, als würden drei kreative Wasserfälle auf einmal auf uns herabstürzen.“

An diesem Punkt ist es so, wie es bei Blackmail immer war, Wenn Kreativität losgetreten wird, dann aber richtig. Im Gegensatz zum vorhergehenden Album ´Anima Now!´ haben sich Blackmail dieses Mal fast verschwenderisch viel Zeit gelassen, die CD fertig zu stellen. Ein komplettes Jahr.



Wildes Rhythmustreiben

„Wir haben jetzt nicht die zwölf Monate an einem Stück durchgearbeitet“, darauf verweist Carlos Ebelhäuser, „drei intensive Arbeitperioden gab es. Gleich zu Beginn im Januar gelangen uns der Eingangstitel ‚Impact’ und ‚Shine’.“

Wer solch ein Fundament legt, der kann getrost auf den nächsten Durchlauf warten. Beide Stücke bilden eine Klanggrundlage, wie sie kraftvoller nicht sein könnte. Die sirrenden Gitarren werden von einer wild treibenden Rhythmusarmee vor sich her getrieben. Zumindest hat man das Gefühl, es könne sich nur um einer Armee handeln, so wild ist das Treiben. Und wenn man weiß, dass ´Impact´ nichts anderes heißt, als Eindruck, dann haben Blackmail gleich mit dem ersten Stück einen schlagenden Eindruck hinterlassen. Einen, der eine hypnotische Sogwirkung ausübt und den Hörer in die Platte hinein zieht und bis zum der letzte Ton verklungen ist auch nicht mehr loslässt.

„So etwas gibt Sicherheit“, sagt Carlos Ebelhäuser, „Sicherheit auf dem Weg zu sein, etwas Neues zu erschaffen.“ Wer so in die Zwischenzeit nach der ersten Session geht, der kann nur gestärkt zurückkommen, um weiter zu arbeiten.



Zehn Sternstunden

Diese Stärke führt im zweiten Durchlauf dazu, dass Gitarrist Kurt Ebelhäuser, schon immer der Visionär der Band, hörbar zur Hochform aufläuft. Er kramt Melodiebögen hervor, die den Beatles zur Ehre gereichen würden und zerstört sie anschließend in einer Art Weise, dass die Grungegötter den Hut vor ihm gezogen hätten.

„Wir anderen haben seinen Lauf befördert, indem wir uns zurückgenommen haben“, weiß Carlos Ebelhäuser, „über fast zwanzig Jahre Bandgeschichte haben schon ein Gespür entwickelt, wann wer einen Kreativitätsschub bekommt. So etwas ergibt sich und ist nie planbar.“

Wenn es dann aber passiert, dann erweist sich erneut der Standortvorteil des eigenen Studios.

„Solch eine Sternstunde, die muss auch sofort aufgenommen werden“, erklärt er, “wenn wir im Studio sind, laufen immer die Maschinen und schneiden mit. Nur so gelingt es uns die unmittelbaren, aber das Lied grundlegenden Gefühle in voller Größe einzufangen.“

So ist es Blackmail gelungen, nicht nur eine Sternstunde auf CD zu bannen. Es sind zehn Sternstunden und die reichen für 100 Jahre Gänsehaut. Die Gänsehaut auslösenden Faktoren sind nicht glatte Popnoten, sondern eher die ein Stück weit komplizierten Strukturen, die unverhofften Wendungen, die rohen Kanten und auch die geschärften Ecken.



Großartiges, zeitloses Rockalbum

Was neben all’ dem Genannten ebenfalls zur diesem großen Wurf von Blackmail beigetragen hat, ist die Tatsache, dass Gitarrist und Sänger Mathias Reetz seine Platz gefunden hat. Dieses Hineinwachsen in Blackmail ist durch die ausgiebige Tour nach dem Erscheinen von ´Anima Now!´ natürlich beschleunigt worden. Dabei hat sich aber auch ein Energiereservoir aufgestaut, der im Produktionsprozess der neuen Platte ´II´ abgerufen werden konnte.

„Die erste Platte mit Mathias Reetz hatte Züge von der Seelenstärke einer frischen, neuen Liebe“, erzählt Carlos Ebelhäuser, „wenn die junge Liebe nicht mehr jung ist und immer noch solche Ernergieausbrüche möglich sind, wie auf ‚II’, dann hat die Liebe Bestand und ist in de Lage noch Größeres zu leisten, als das erste Strohfeuer.“

Wie hochzufrieden die Band selbst ist, zeigt eine weitere Aussage von Carlos Ebelhäuser:

„Seit Jahren fanden wir keine Blackmail-Platte mehr so toll, dass wir sie auch längere Zeit nach der Fertigstellung immer noch mit Genuss von vorn bis hinten in einem Rutsch begeistert durchhören.“

Wenn der Plan von Blackmail der war, ein großartiges, zeitloses Rockalbum zu schaffen, eins dass die vielen aufregenden Seiten der Band aus Koblenz zeigt und das mit jedem neuen Hören der Lieder neue Nuancen preis gibt, dann haben Blackmail das in Formvollendung hin gekriegt.

Aktuelles Album: II (Unter Schafen / Alive)

Foto: Andreas Hornoff

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