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SEASICK STEVE

Blues rules!

SEASICK STEVE

Da fläzt sich ein älterer Herr im Flanellhemd und mit grauem Zipfelbart im schicken Sessel eines nicht minder schicken Hotels im aristokratischen Londoner Stadtteil Kensington. Ein Paar abgegriffenen Gitarren liegen auf dem Boden. Eine paar leere Schnapsfläschlein auf der Ablage. Musik macht er schon seit er denken kann. Nur hören wollte sie niemand. Außer ihm natürlich. Also schlug er sich durchs Leben. Als Zimmermann oder als was auch immer.

Erst im Alter von über 60 Jahren nahm er 2004 sein erstes eigenes Album in der heimischen Küche auf. Und plötzlich Erfolg auf der ganzen Linie: steigende Plattenverkäufe, Hitparadennotierungen, volle Säle bis hin zu einer ausverkauften Royal Albert Hall. Fassen kann der bärtige, verschmitzt grinsende Steve Gene Wold alias Seasick Steve all dies nicht so recht. Oder aber, er ist der größte Kokettierer unter Gottes Augen.



Ist das Blues?

„Alle sagen, ich spiele Blues“, wundert sich der Bärtige ganz ehrlich, „als ich vier Jahre alt war, ließen sich meine Eltern scheiden. Schon vorher hat mein Vater ständig am Klavier gesessen und Boogie-Woogie gespielt. Ich sollte es auch lernen. Aber das Instrument mit den vielen schwarzen und weißen Tasten war einfach nicht meins. Als ich acht war, griff ich zur Gitarre. Das Instrument hatte deutlich weniger Möglichkeiten, als das Klavier. Ich spielte es unablässig und später sagten sie mir, dass, was ich spielte sei Blues. Auch gut.“

Als Seasick Steve 14 Jahre alt war, geht das Klischeeleben des Blues-Sängers weiter. Er haut von zuhause, oder besser von dem, was noch davon übrig ist, ab. Und fristet sein Leben als Hobo auf den Güterzügen Amerikas.

„Glaubst du nicht, was?“, schüttet er sich aus vor Lachen, „war aber so.“

Er begegnet bei diesem Leben zwangsläufig anderen Hobos, so auch dem Delta Blues-Mann K.C. Douglas, der ihm noch schnell ein paar weitere Griffe beibringt. Aber er ist und bleibt ein Unruhegeist. Einer, der keine Wurzeln schlagen mag. Dafür ist die Welt doch viel zu groß. In Paris hat Seasick Steve beispielsweise in der Metro gespielt. In Norwegen hat er auch gelebt. Inzwischen pendelt er zwischen England und Norwegen. Den Blues spielt er immer noch. Und das erst recht, seit er in den späten Neunzigern bemerkt, wie wild die Grunge-Kinder nach seiner Blues-Gitarre sind.

„Das unterscheidet mich von Robert Plant“, freut sich Seasick Steve wie ein Honigkuchenpferd, „als ich bei ihm im Konzert war, liefen da nur ältere, gesetzte Herrschaften rum. Und bei mir, da sind die deren Kinder. Unglaublich. Du glaubst gar nicht, wie ich das genieße.“

Sie sind aber auch ein Erlebnis die Livedarbietungen von Seasick Steve, die er meist nur einem Schlagzeuger durchzieht. Der englische Radio-DJ Joe Cushley charakterisiert die ihn, „als den charismatischsten Bühnenmenschen, der mir jemals begegnet ist. Seine Stimme changiert zwischen grobkörnig und sirupsüss. Ein wenig Hobo-Geschrei, ein wenig Soul-Geschmeidigkeit und dazu ein wenig echtes Blues-Geheul, das macht den Typen und seine Performance perfekt.“



Neue Tricks für einen alten Hund?

Der Titel seines aktuellen Albums ´You Can’t Teach An Old Dog New Tricks´ hat, wie könnte es bei Seasick Steve anders sein, einen lustigen Hintergrund.

„Als ich in Glastonbury auftreten sollte, auf der Hauptbühne, da dachte ich da müsste ich eine riesige Show konzipieren, auch eine wilde Lichttechnik sollte her“, plaudert Seasick Steve munter weiter drauf los, „dann habe ich kurz inne gehalten und gesagt, was soll das? Entweder, ich gehe so durch die Decke, wie ich bin; denn wer will einem alten Hund schon neue Tricks beibringen? Eben!“

Für diesen Bluespurismus, dafür haben sie ihn in Glastonbury gefeiert. Es waren mal eben die 65.000. Und so ist auch sein neues Album. Purer Blues. Mal akustisch und mal ordentlich elektrifiziert. Und dazu Geschichten. Welche, die den Blues haben. Seasick Steve nämlich hat all das erlebt, was die Daheimgebliebenen nur aus Erzählungen kennen. Seine neue Platte „You Can’t Teach An Old Dog New Tricks“ ist randvoll von diesen Schilderungen. Da ist es dann auch völlig wurscht, dass die Gitarre, die er häufig zur Hand nimmt nur drei Saiten hat und auf den schönen Namen 3-string Trance Wonder hört. Auch dazu hat der grandiose Geschichtenerzähler eine parat.

„Ich hatte dafür einem Kumpel in Mississippi ein paar Dollar in die Hand gedrückt und dachte, was wohl meine Frau sagen würde, wenn ich erneut mit etwas Nutzlosem nach Hause käme. Doch als sie mich damit spielen hörte, kam sie leise heran und sagte nur ebenso leise, diese Gitarre wird dich berühmt machen.“

Genauso ist es geschehen.

Aktuelles Album: You Can’t Teach An Old Dog New Tricks (PIAS / Rough Trade)


Foto: Chris Durst

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